Vortrag am 2. Dezember 2000: Dr. Josef Frickel (Professor für patristische Theologie)
Es geht mir im l. Teil um das Problem, wie eine Religionsgemeinschaft, die von sich glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, mit anderen religiösen Gemeinschaften ein echtes Gespräch (Dialog) über Fragen des Glaubens führen kann. Da vorausgesetzt ist, dass es nur eine Wahrheit gibt, weil es nämlich nur eine Wahrheit geben kann, befindet sich der Gesprächspartner, der sich im Besitz der Wahrheit weiß, von vornherein in einer anderen Position als sein Gesprächspartner, bei dem mehr oder weniger stillschweigend vorausgesetzt wird, dass er nicht im Besitz der Wahrheit ist, beziehungsweise dass er jedenfalls nicht die ganze oder volle Wahrheit besitzt. Andererseits soll ein echtes Gespräch, ein echter Dialog, doch gleichwertige Partner voraussetzen, wo beide Partner gemeinsam auf der Suche nach Wahrheit sind. Sie wollen die Wahrheit ja erst durch das gemeinsame Gespräch finden. Wenn aber ein Gesprächspartner die Wahrheit schon kennt, wenn er die Wahrheit "besitzt", dann ist ein echter Dialog eigentlich nicht mehr gut möglich. Das ist ein echtes Dilemma. Will man den Dialog nicht aufgeben, sondern fortsetzen bzw. von neuem beginnen, so wird man in erster Linie darüber nachdenken müssen, ob es einen oder auch mehrere Wege aus diesem Dilemma gibt und wie solche Wege beschaffen sein könnten. Das will ich im 2. Teil meines Referates kurz versuchen.
1) Wie bekannt, befinden sich die christlichen Religionen seit vielen Jahren im interkonfessionellen Dialog. So in Amerika, in Indien, in Europa und hier besonders im deutschsprachigen und angelsächsischen Raum, wo die Trennung im christlichen Glauben besonders spürbar ist. Ebenso gibt es ökumenische Gespräche mit den orthodoxen Kirchen, wie auch zwischen der Orthodoxen Kirche und den Orientalisch Orthodoxen Kirchen, hier z.T. mit beachtlichen Ergebnissen. Darüber hinaus gibt es den nicht weniger bedeutsamen Dialog von christlichen Religionsgemeinschaften mit nichtchristlichen Religionen, auf den hier jedoch nicht gesondert eingegangen werden kann.
2) Seit einigen Wochen ist der ökumenische Dialog in Mitteleuropa in Bewegung geraten. Nicht im Sinne, dass dieser Dialog nun besonders intensiviert würde, vielmehr eher so, dass dieser Dialog ins Stocken geraten ist; ja, irgendwie wird der ökumenische Dialog sogar in Frage gestellt. Eine "Pause für die Ökumene" wird gefordert. Oder eine "Nachdenkpause". Theologen plädieren für eine "Neubestimmung der Standorte", und zwar auf beiden Seiten, Woher plötzlich diese Unsicherheit? Warum wird das ökumenische Gespräch in Frage gestellt? Ist das Bewusstsein, die Wahrheit zu besitzen und diese bewahren zu müssen, wovon wir eingangs gesprochen haben, bei einem der Gesprächspartner, nämlich in der Römisch-Katholischen Kirche, plötzlich verstärkt ins Bewusstsein gerückt, sodass es fragwürdig geworden ist, ob der ökumenische Dialog in der bisher geführten Weise noch sinnvoll ist? Das scheint in der Tat der Fall zu sein. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass das verstärkte Bewusstsein mit der Wahrheit mit der wahren Lehre also, von Jesus Christus betraut worden zu sein und für deren Bewahrung verantwortlich zu sein, mit der jüngst veröffentlichten "Erklärung" Dominus Jesus der römischen Glaubenskongregation zusammenhängt. Diese von Kardinal Ratzinger und dem Sekretär der Kongregation für die Glaubenslehre unterzeichnete Erklärung wurde von Papst Johannes Paul II. kraft seiner apostolischen Autorität bestätigt und bekräftigt, und ihre Veröffentlichung angeordnet. In diesem römischen Dokument wird der Führungsanspruch der katholischen Kirche in Glaubensfragen betont. Kommentare in der Presse sprechen von der "Vorherrschaft der katholischen Kirche" oder: "Rom hat gesprochen. Für den Vatikan gibt es nur eine Kirche". Ein Sturm der Entrüstung über diesen Führungsanspruch der Römischen Kirche rauschte durch den Blätterwald der Presse (Kleine Zeitung, 7.9. 2000).
3) Heftig waren die Reaktionen. außerhalb der römischen Kirche. Der Erzbischof von Canterbury (George Garey), Oberhaupt der anglikanischen Kirche, kritisierte: dieses Papier vernachlässige drei Jahrzehnte des ökumenischen Dialogs. Für einen prominenten Vertreter der Evangelischen Kirche Österreichs (Othmar Gering, ehemaliger Seniorpfarrer in Graz), ist der römische Text ein "Ein schwerer Schlag gegen die anderen Kirchen, so gegen uns, die Evangelischen, für die Ökumene und auch im "Dialog der Religionen".
Nach ihm liegt ein Schaden über der Zusammenarbeit von Christen unterschiedlicher Konfessionen, "wenn Rom erneut sagt, die Kirchen der Reformation seien nicht Kirchen im eigentlichen Sinne." "Betroffen und irritiert" äußerte sich auch der Bischof der evangelischen Kirche in Österreich, Herwig Sturm. Er wolle nicht schroff replizieren, aber "dieser Alleinvertretungsanspruch, (nämlich) zu sagen, wir sind die Mutter und ihr (seid) nicht einmal Schwestern", markiere einen Rückfall. in die vorkonziliare Zeit. Bei aller Betroffenheit könne aber das Schreiben das gute ökumenische Klima in Österreich nicht zunichte machen.
Nicht weniger kritisch sind die Stimmen innerhalb der römisch katholischen Kirche. Er verstehe die Enttäuschung über das neue Dokument aus Rom, sagte Kardinal König, der frühere Erzbischof von Wien, in einem "Kleine Zeitung Interview (vom 7.9. 2000) auf das vatikanische Dokument "Dominus Jesus". Der Kardinal sieht in der römischen Erklärung den "Ausdruck großer Ängstlichkeit". Offenbar seien in Rom überbesorgte in der Mehrheit. Der Begriff "Universalanspruch" sei "provozierend (und) ärgerlich..." Es geht aber nicht nur um Machtanspruch, sondern um einen Dienst, um Demut gegenüber anderen Religionen. "Auch Kardinal König befürchtet, dass das Schriftstück den Dialog mit der evangelischen Kirche nicht leichter, sondern schwieriger" mache. Scharf kritisiert der ehemalige Tübinger Theologe Hans Küng die Erklärung der römischen Glaubenskongregation, die er für eine "Mischung aus mittelalterlicher Rückständigkeit und vatikanischem Größenwahn" hält. (Deutsche Presseagentur 6.9.2000).
Das vatikanische Dokument hat also offensichtlich weniger die Einheit unter Christen gefördert, sondern eher Zwietracht gesät.
4) Es fehlt allerdings auch nicht an positiven Wortmeldungen, in erster Linie bei jenen, die dem ökumenischen Dialog schon bisher mit ziemlicher Zurückhaltung gegenüber standen. So sieht der Erzbischof von Salzburg, Georg Eder, die genuine Lehre der Kirche von einer Anpassung an andere Konfessionen bedroht. Unter den Professoren der katholisch-theologischen Fakultäten der Universitäten (es gibt deren vier in Österreich) sind "reißende Wölfe" eingedrungen, welche die wahre Lehre der Kirche seit Jahren unterhöhlten. In einem gerade erst erschienenen Hirtenbrief mit dem Titel "Ut unum sint" (d.h. Damit sie eins seien) spricht der Erzbischof von "dieser Stunde der Not" der Kirche. Der Brief zeugt von angstvoller Sorge um den wahren Glauben, und am Schluss desselben wird der "Dominus Jesus", der Herr Jesus, angerufen, womit der Erzbischof explizit den Titel der römischen Erklärung der Glaubenskongregation zu seinem Leitmotiv macht.
Aufschlussreich ist auch ein Interview des Bischofs von St. Pölten, Kurt Krenn, das in der letzten Nummer der Zeitschrift "Profil" (Nr. 48, vom 27.11.2000) erschien. Nach seiner Meinung wird das Wort Ökumene...- wie so viele andere Worte heute missbräuchlich verwendet. "Ökumene ist keine Zauberformel". - Und. Dann wörtlich: "Die beste Zeit für alle wird sein, wenn wir keine Ökumene mehr brauchen. Entweder leben die Leute (gemeint sind die Christen) dann in einer glücklichen Identität jedes Glaubens, oder wir haben uns auf die einzige Wahrheit geeinigt."
Bei dieser Einigung auf "die einzige Wahrheit" setzt der Bischof freilich zwei Dinge als selbstverständlich voraus: einmal, dass die Wahrheit der katholischen Kirche anvertraut ist, und zweitens, dass "die Kirche" daher von der ihr anvertrauten Wahrheit " sicher nicht abgehen kann. Denn "die Wahrheit ist ja Wahrheit und kann nicht Verhandlungsgegenstand sein". Wir haben uns an die Wahrheit zu halten, so, wie sie offenbart ist und wie sie von der Kirche gelehrt und gelebt wird. Mit dieser klaren Aussage sind wir genau bei der Position, die ich eingangs skizziert habe: Wer die Wahrheit besitzt und hütet, bezieht eine völlig andere Position als sein Gesprächspartner: "die Kirche" will die ihr anvertraute Wahrheit verkünden, der Partner kann eigentlich nur zuhören, eventuell Fragen stellen, muss sich dann aber entscheiden, ob er die Wahrheit annimmt oder nicht. Im letzteren Fall mögen "die Leute dann in ihrer glücklichen Identität jedes Glaubens" leben oder sie leben nicht in der Wahrheit. Facit: ein wirklicher Dialog, um die "Wahrheit zu finden, ist eigentlich nicht möglich.
l) Wenn wir uns fragen, wie wir aus diesem Dilemma herausfinden können, so können uns einige Gedanken über den Dialog weiterhelfen. Denn ohne Dialog gibt es keinen wirklichen geistigen Fortschritt. Die Polarität zwischen zwei verschiedenen Positionen ist ein Entwicklungsgesetz, das wir in der Natur vorfinden; bei Mineralen, bei Pflanzen und auch beim Menschen. Entwicklung findet durch Auseinandersetzung verschiedener Positionen statt. Was im biologischen Bereich gilt, das gilt erst recht für den intellektuellen und geistigen Fortschritt. Das gilt nicht nur für Streitfälle oder Meinungsverschiedenheiten, wo - wie wir heute klarer sehen als früher- Gewaltlösungen keine wirklichen Lösungen sind und nur neue Konflikte heraufbeschwören; das gilt für jede Wahrheitsfindung und geistigen Fortschritt überhaupt. Das klassische Beispiel sind die berühmten Dialoge Platons, die als Stilmittel in der Philosophie, aber auch in der Theologie vielfach nachgeahmt wurden.
Im frühen Christentum kennen wir den großen Dialog des Philosophen und Märtyrers Justin dem Juden Typhon als Gesprächspartner. Wir haben die Dialoge im "Gastmahl" des Methodius von Olymp, für deren Anlage wie auch für zahlreiche Einzelheiten Platons Symposion das Vorbild abgab. Der Theologe und Bischof Gregor von Nyssa verfasste einen Dialog "Über die Seele und die Auferstehung", sowie einen weiteren Dialog gegen den astrologischen Fatalismus. Diese kurzen Hinweise auf einige Schriften früher Kirchenväter, zeigen deutlich wie man gerade in der Theologie den Dialog als Weg, als Wahrheitsfindung und der geistigen Bereicherung schätzte.
Echter Dialog ist unverzichtbar. Zu Recht haben daher mehrere österreichische Bischöfe (Johann Weber, Klaus Küng, Helmut Krätzl) mit Bezug auf jetzt aufgekommene Unklarheit und Unsicherheit festgestellt, dass die Bemühungen um Ökumene nicht ausgesetzt werden können und dürfen. "Das Evangelium auch viele Aussagen gerade unseres jetzigen Papstes sprechen das klar aus." (Bischof Weber in "Format"48/2000, Seite44).
2) Ist echter Dialog also unverzichtbar, so ist zu fragen, was vorausgesetzt werden muss, damit solcher Dialog wirklich zustande kommt und sich nicht in einem magistralen Monolog verflüchtigt. Hier ist an erster Stelle der Respekt vor anderen religiösen Überzeugungen zu nennen. Das bedeutet bei Offenbarungsreligionen zuerst Respekt vor den heiligen Büchern anderer Religionen. Diese wurden geschrieben, um die Menschen zu verschiedenen Zeiten und verschiedenen religiösen und kulturellen Situationen auf den Weg der Gerechtigkeit und der Liebe hinzuführen. Sie sind im Plan der Vorsehung eine Hilfe, um die Menschen zur Einheit mit dem Schöpfer und zur Harmonie mit dem Kosmos hinzuführen.
Keine Religion hat das Recht ihre eigenen heiligen Bücher als von Gott gegeben zu deklarieren und dabei zugleich die heiligen Schriften anderer Religionen a priori als Menschenwerk zu deklassieren, die zwar spirituelle Erfahrung und Weisheit enthielten, aber nicht wirklich inspiriert seien .............. Gottes Geist weht wo er will. Wer wollte Gottes Geist Grenzen vorschreiben?
Eine weitere Voraussetzung echten religiösen Dialogs ist der Respekt vor den Propheten, die andere Religionen als Werkzeug- und Sprachrohr des einen Gottes verehren. Gewiss hat es im Laufe der Zeiten auch falsche Propheten gegeben. Doch gibt es untrügliche Zeichen, um wahre von falschen Propheten zu unterscheiden. Auch für Propheten gilt das Wort: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." Wahre Propheten hatten immer die Aufgabe, die Menschen vom Götzendienst wegzuholen und den wahren Gott zu verkünden. Diese zentrale Aufgabe haben sie in immer neuen geschichtlichen und kulturellen Situationen immer wieder neu erfüllt, wie das Schicksal gerade der Propheten des Alten Testamentes deutlich zeigt. Viele Propheten hatten bei der Erfüllung ihrer Aufgabe Verfolgung, Gefängnis oder Verbannung, ja sogar den Tod zu erdulden. Der Respekt erfordert, solche Blutzeugen als wahre Zeugen Gottes und seines göttlichen Auftrag anzuerkennen, jedenfalls aber nicht, das Gedenken an solche Propheten gering zu achten. Gerade Christen sollten die Lehren Jesus von Nazareth im Evangelium immer vor Augen haben. Dort hören wir von der Unduldsamkeit und dem falschen Eifer der Jünger Jesu, die einem fremden Heiler verbieten wollten, im Namen Jesu den Menschen Gutes zu tun, und zwar nur deshalb, weil er ihrem Kreis nicht angehörte. Jesus dagegen verteidigte den Fremden und sagte, "wer nicht gegen uns ist, der ist für uns" (vgl. Mk 9,38-4l; Lk 9,49f.). Hier lernen wir, wie wir nicht handeln sollen und wie echte Toleranz und wahrer Respekt vor dem Andersglaubenden aussehen sollte.
Manches wäre zu sagen über theologische Lehren, die im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet wurden. Sicher genügt es nicht, solche Lehren, die oft unter anderen Denkvoraussetzungen entstanden sind, einfach zu wiederholen. Nicht weniges wäre neu zu überdenken und gemäß unserem heutigen postmodernen Denken und Verstehen zu formulieren. Ein weites Feld für den ökumenischen und interreligiösen Dialog liegt vor uns. Alle religiösen Menschen sind aufgerufen, aus den Nöten und Erfordernissen der heutigen Zeit, den Willen Gottes zu erkennen. Gerade in einer globalisierten Welt will Gott, ut omnes unum sint: dass alle eins seien! In einer Einheit des Geistes und der Herzen, aber so, dass jeder Mensch und jedes Volk seine eigene Identität frei leben können.