Vortrag am 11. März 2000: Dr. Josef Frickel
(Professor für patristische Theologie)
Am Anfang des
Christentums steht ein Akt extremer Intoleranz: die doppelte Verurteilung des
Jesus von Nazareth und dessen Hinrichtung als Gotteslästerer und Staatsfeind.
Der eigentliche Akt der Intoleranz war die Verurteilung von Jesus durch die
offiziellen Repräsentanten der jüdischen Religion. Das Motiv für die
Verurteilung war Gotteslästerung, Entweihung des Sabbats. Im Vergleich zu
diesem ersten Akt religiöser Intoleranz war die Verurteilung von Jesus als
Aufrührer und Staatsfeind durch die Römische Besatzungsmacht, repräsentiert
durch Pontius Pilatus, nur mehr die Staatliche Ratifizierung des vom Hohen Rat
der Juden gefällten Urteils. Schon bald nach dem gewaltsamen Tod des Mannes aus
Nazareth wurden auch dessen Jünger Opfer religiöser Intoleranz. Wir lesen in
der Apostelgeschichte von Verhaftungen der Apostel Petrus und Johannes, und von
dem mutigen Zeugnis dieser Männer vor dem Hohen Rat: "Man muss Gott mehr
gehorchen als den Menschen!" (Apg 5,29).
Bald wurden in Jerusalem auch die ersten Jünger wegen ihres Bekenntnisses zu
Jesus hingerichtet: zuerst der hellenistische Jude: Stephanus, dann der Apostel
Jakobus, der Bruder des Johannes, dann Jakobus, der leibliche Bruder von Jesus.
Sie wurden Opfer religiöser Intoleranz, getötet von Eiferern für das Gesetz des
Moses. Auch die Berichte über den
sog. Heidenapostel Paulus, der zuerst Saulus hieß, zeigen vielfache Beispiele
religiöser Intoleranz, die Paulus seines Glaubens wegen immer wieder von
Eiferern für die jüdische Religion erdulden musste: Verleumdung, Verfolgung,
Gefängnis, körperliche Züchtigung. Sein Tod in Rom unter Nero war ein Akt
staatlicher Willkür.
Die von Kaiser Nero im Jahr 64 vom Zaun gebrochene Verfolgung der Christen in
Rom war der Auftakt für eine blutige Unterdrückung der jungen christlichen
Religion, die zweieinhalb Jahrhunderte dauern sollte. Obwohl es in dieser
Zeitspanne immer wieder Zeiten der Ruhe und ohne Verfolgung gab, ist es
historische Tatsache, dass in diesen Verfolgungen Tausende und Abertausende
Christen, auch Frauen und Kinder, wegen ihres christlichen Glaubens grausam
hingerichtet wurden, Tatsache ist aber auch, dass die mit dar christlichen
Religion in die hellenistische Welt getretene Idee durch diese Jahrhunderte
währende Unterdrückung nicht ausgerottet werden konnte. Im Gegenteil, Um das
Jahr 200 schrieb der Christ Tertullian in Karthago: "Wir werden jedes Mal
zahlreicher, so oft wir von euch niedergemäht werden; ein Same ist das Blut der
Christen (semen est sanguis christianorum)" (Apologeticum 50).
Aber schon früh hören wir
von einer neuen Art religiöser Intoleranz, nämlich von Unduldsamkeit innerhalb
der jungen christlichen Gemeinden. Ausgelöst wurde der Streit durch die
Tatsache, dass die Botschaft von Jesus, dem jüdischen Messias (d.h. dem
Gesalbten Gottes), sich rasch auch außerhalb des jüdischen Landes Palästina
verbreitetet besonders durch die Missionsarbeit des Paulus, und sich viele
Nichtjuden der messianischen Jesusbewegung anschlossen. Nach jüdischer
Auffassung hätten solche Leute beschnitten werden und die jüdischen
Gesetzesvorschriften beobachten müssen. Anders die Meinung des Paulus, der
griechisch gebildet und in seiner Jugend in überwiegend heidnischer Umwelt auf
gewachsen war. Er vertrat die auch von anderen Lehrern vertretene Meinung,
dass, wer nur ein Tauchbad (Taufe) nahm und sich nicht beschneiden ließ,
religiös einem Juden gleichgestellt sei. Man verwies dabei auf die Praxis bei
Frauen, die ja nicht beschnitten werden konnten, wohl aber ein Tauchbad nahmen
und damit Jüdinnen wurden.
Kurz: darüber gab es heftigen Streit zwischen Jerusalemer Judenchristen und
Paulus. Man konnte sich auf einem Konvent (vgl. Apg 15) mit einem Kompromiss
zwar einigen, indem die Judenchristen von den Heidenchristen weder Beschneidung
noch Beobachtung des Gesetzes verlangten, sich also mit deren Tauchbad (Taufe)
begnügten, während sie selbst und ihre Nachkommen jedoch selbstverständlich
jüdisches Brauchtum und Gesetz beobachteten. Von da an gab es zwei Sorten von
Jesusanhängern: Judenchristen, die nach wie vor als Juden lebten, und
Heidenchristen, die bei ihrer Bekehrung nur ein Tauchbad (Taufe) zu nehmen
brauchten. Dieser Unterschied zwischen den Jesusanhängern wird oft als
unbedeutend bagatellisiert. Tatsächlich wurde daraus im frühen Christentum jedoch
eine immer größer werdende Trennung zwischen palästinensischen Judenchristen
und hellenistischen Heidenchristen, die zahlenmäßig bald die überwältigende
Mehrheit der Christen bildeten.
Bald sollte es zum Bruch mit diesen Judenchristen, die weiterhin als Juden
lebten, kommen. Ein anderer Fall religiöser Intoleranz ereignete sich Ende des
zweiten Jahrhunderts, als der römische Bischof Viktor (l89-199) die
christlichen Gemeinden Kleinasiens - damals ungefähr ein Drittel der gesamten
Kirche - von der kirchlichen Gemeinschaft ausschloss, also exkommunizierte,
weil diese sich dem Brauch der römischen Kirche betreffs der Osterfeier nicht
anschlossen, sondern Ostern nach überliefertem jüdischen Brauch weiterhin am
14, Nissan und nicht am darauf folgenden Sonntag feierten.
Erst als der Bischof Irenäus von Lyon (+ 202) gegen diese Maßnahme protestierte
und darauf hinwies, dass es sich hier nur um eine liturgische und nicht um eine
dogmatische Frage handelte, gab Papst Viktor nach und vermied damit ein
Schisma, das die Kirche gespalten hätte. Zu Streit kam es auch Mitte des
dritten Jahrhunderts wegen Meinungsverschiedenheiten über den göttlichen Logos
als eins von Gott dem Vater verschiedenen Person, und wenig später wegen der
Bußdisziplin und der Behandlung der in den Verfolgungen abgefallenen Christen.
Und der weitere Verlauf der Kirchengeschichte zeigt, dass solche
Streitigkeiten, besonders über die Beschaffenheit des Mensch gewordenen Sohnes
Gottes, seit dem dritten Jahrhundert zum festen Bestand der christlichen Kirche
gehörten.
Theologisch gesehen ging es dabei um die Ausbildung der wahren christologischen
Doktrin. Aber je mehr sich diese ausbildete, umso größer wurde die religiöse
Intoleranz. Ganze Kirchen, wie z.B. die Kirche Ägyptens, Äthiopiens,
Armeniens und schließlich im 11. Jahrhundert die ganze Byzantinische Kirche,
spalteten sich von der Römischen Kirche ab; eine Spaltung, die bis heute, trotz
vielfacher menschlicher Annäherung, weiter besteht. Um diese Entwicklung zu
verstehen, muss das Verhältnis der christlichen Religion zum Staat kurz
beleuchtet werden, soweit es den Komplex von Intoleranz und Toleranz betrifft.
Im heutigen Sprachgefühl
kommt dem Wort Toleranz eine durchaus positive Bedeutung zu, so wenn wir z.B.
von einem toleranten Manschen oder von tolerantem Denken sprechen. Tatsächlich
haftet dem Wort ursprünglich, bei allem Positiven, immer auch etwas Negatives
an. Denn Toleranz heißt Duldung,
genauen das geduldige Ertragen eines beliebigen Übels, dem man nicht ausweichen
kann oder darf. Im engeren Sinn meint Toleranz die Duldung einer abweichenden
religiösen Überzeugung, die man selbst innerlich weder billigt noch mit
Gleichmut betrachtet, äußerlich aber auch nicht hindert, sondern zulässt. Dogmatisch
gesehen ist eine von der kirchlichen Lehre abweichende religiöse Überzeugung
ein moralisches Übel, nämlich Irrlehre. Doch ist, heißt es, immer zu
unterscheiden zwischen der irrigen Lehre
und der irrenden Person,
welche die irrige Lehre oder Meinung vorträgt oder übt.
Gegen die irrende Person ist wahre Toleranz möglich, jedoch nicht gegen die
irrige Lehre. Denn dogmatisch gesehen kennt die von Gott geoffenbarte
Christliche Lehre keine Toleranz. Dogmatische Toleranz ist daher verwerflich
und unsittlich. weil sie dem Irrtum Vorschub leistet. Toleranz ist demnach
genau genommen eigentlich die Duldung des Unerlaubten.
Das war z.B. so im Jahre 311 als der Römische Kaiser Galerius das sog. 1.
Toleranzedikt erließ, das der christlichen Religion, die bisher nicht erlaubt
war und die man, wie gesagt, zweieinhalb Jahrhunderte verfolgt hatte,
staatliche Duldung zusicherte, wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen. Es
hatte sich einfach faktisch herausgestellt, dass diese Religion nicht
umzubringen war, und dass die Zahl der Christen immer größer wurde. Auch hatte
man eingesehen, dass diese Religion keineswegs so verwerflich war, wie man
anfangs geglaubt hatte.
In Zeiten innenpolitischer Wirren oder von Bürgerkriegen war es gut, auf die
Christen als verlässliche Bürger zählen zu können. Nach seinem Sieg über
Maxentius (312) erließ dann Kaiser Konstantin 313 zu Mailand das so genannte 2. Toleranzedikt, das dem Christentum
nicht nur Duldung gewährte, sondern auch öffentlichen Kult erlaubte und
konfiszierte Güter wieder zurückgab. Konstantin begegnete der christlichen
Kirche mit großem Wohlwollen und förderte sie, wo er nur konnte. Das sollte
sich in den folgenden Jahren auf das Verhältnis der christlichen Kirche zum
Staat auswirken.
Äußerlich gesehen
präsentierte sich diese Kirche als eine hierarchisch gegliederte und vor allem
geordnete Organisation. Eigene Kirchen wurden gebaut, eigene Friedhöfe, die
schon im zweiten Jahrhundert bestanden, erweitert oder neu angelegt. Inzwischen
hatte eine fortschreitende Feilschreibung der christlichen Glaubenslehre
stattgefunden, über deren Reinerhaltung das kirchliche Lehramt wachte. Der Kult
war durch Vorschriften geregelt. Ähnlich wie im Alten Testament wurden die
wesentlichen kirchlichen Einrichtungen direkt auf Jesus Christus, und damit auf
Gott, selbst zurückgeführt. Zwangsläufig führte das innerhalb relativ weniger
Jahre zu einer gewissen Vorrangstellung und bald sogar führenden Stellung der
christlichen Religion.
Den heidnischen Kulten und Religionen gegenüber kannte das Christentum keine
Toleranz. Jede von der christlichen Glaubenslehre abweichende religiöse
Überzeugung wurde bekämpft. Und diese geistige Intoleranz auf dem Gebiet der
Lehre wurde bald auch, wo es möglich war, in die Praxis umgesetzt. Wie
war das möglich geworden? Die Geschichte gibt die Antwort. Nach Konstantin, der
sich erst kurz vor seinem Tod taufen ließ, wurde es selbstverständlich, dass
die Kaiser Christen waren. So schon die Söhne Konstantins. Sie wuchsen als
Christen auf, wurden als Christen erzogen.
Langsam aber sicher mutierte das Christentum zur Staatsreligion, Eine
Entwicklung, die unter Theodosius dem Großen (379-395) ihren Höhepunkt
erreichte. Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass die staatliche Gewalt sich
zunehmend als Beschützerin, der Kaiser sich als Protektor der Kirche verstand.
Auf diese Weise wurde die staatliche Gewalt zum verlängerten Arm, der weltliche
Arm der immer mehr sich ausbreitenden Kirche. In dem Maße wie Staat und Kirche
sich zunehmend als weltliche und geistliche Gewalt des einen Gottes, Schöpfer
des Himmels und der Erde, auf dieser Erde verstanden, in dem Maße wurden der
Kaiser und der Staat das weltliche Instrument, um den Wahrheitsanspruch der
christlichen Religion durchzusetzen. Ein Prozess, der sich bereits im 4.
Jahrhundert nach Christus vollzog.
Einige Beispiele: 373 wurde der besonders unter den Soldaten verbreitete
heidnische Mithraskult verboten. Die Verehrung der "unbesiegbaren
Sonne", Symbol der römischen Kaiser, wurde damit abgeschafft. An die
Stelle des heidnischen Sonnengottes trat der menschgewordene Gott Jesus
Christus, die göttliche "Sonne der Gerechtigkeit". 380 wurde das sog.
Dreikaiser-Dekret (Gratian, Theodosius und Valentinian II) erlassen, in dem der
Trinitätsglaube zum einzig wahren Glauben erklärt wird. 382 lässt Kaiser
Gratian (375-383) die Statue der Göttin Viktoria aus dem Senat in Rom
entfernen, was seine Absage an die heidnische Staatsauffassung bedeutet. Im
selben Jahr gelingt es Papst Damasus (366-384) Kaiser Gratian zu überzeugen,
auf den Titel "Pontifex Maximus" zu verzichten und ihn dem Bischof
von Rom zu übertragen. Ein geistlicher Herrschaftstitel, den der Papst heute
noch trägt. Von demselben Kaiser Gratian wurden die arianischen Christen mit
Gewalt unterdrückt, ihre Bischöfe abgesetzt, ihre Kirchen (vor allem in
Italien) konfisziert. Das alles geschah im 4. Jahrhundert, an dessen Beginn die
Kirche unter Kaiser Diokletian noch blutig verfolgt worden war.
Ein fundamentaler Wandel hatte sich inzwischen vollzogen. Die Kirche, zuerst zweieinhalb Jahrhunderte verfolgt, war selbst zur Verfolgerin geworden. Zuerst verfolgte dann toleriert, nun selbst intolerant. Wie ist ein solcher Wandel möglich gewesen?
Historisch gesehen
vollzog sich der Wechsel unter Konstantin, der den entscheidenden Sieg über
seinen Rivalen Maxentius dem Beistand des Christengottes zuschrieb und darauf
hin das Christentum offiziell anerkannte und den etablierten Kulten
gleichstellte. dass das Christentum jedoch so bald Staatsreligion werden
konnte, das lag im Wesen der christlichen Religion selbst begründet. Zwei
Glaubensüberzeugungen sind dabei entscheidend gewesen, Das erst ist die Lehre
von Jesus Christus, dem "Sohn Gottes"; das Zweite ist die damit
verknüpfte Christliche "Erlösungslehre".
Zum Christusbild: Nach jüdischem Glauben hat der eine und allmächtige Gott die
Juden aus allen Völkern als "sein Volk" auserwählt und diesem Volk
sich auf vielfältige Weise geoffenbart. Nach früher christlicher Überzeugung
hat dieser Gott, als die Fülle der Zeit gekommen war, sich in einmaliger Weise
in Jesus von Nazareth, seinem Gesalbten oder Christus, geoffenbart. Schon bald
wurde diese Offenbarung in Jesus als Selbstoffenbarung Gottes verstanden: kein
Mensch hat Gott je gesehen, denn Gott ist weder sichtbar noch fassbar. Der
"Sohn Gottes" allein kennt den Vater (Mt 11,27). Dieser Sohn Gottes
ist als Mansch erschienen und hat den Vater im Himmel verkündet (Joh 1,18).
Diese im ersten Jahrhundert sich ausbildende Lehre ist auf dem ersten großen
Konzil, das besagter Kaiser Konstantin im Jahr 325 nach Nizäa einberufen hatte,
so definiert worden: JESUS Christus
ist dem Vater "wesensgleich" (homoousios) und daher selbst Gott:
"Gott aus Gott (geboren), Licht aus Lichte wahrer Gott aus dem wahren
Gott, eines Wesens mit dem Vater".
Eine Religion, die ihren Ursprung solcherart auf Gott selbst zurückführen kann,
stellt alle anderen Religionen und Kulte in den Schatten. Diese christliche
Lehre vom menschgewordenen Gott war der Sieg bestimmt. Mit dieser Christologie
hängt die christliche Erlösungslehre eng zusammen. Ob und in welchem Sinn Jesus
selbst seinen Tod am Kreuz als Sühne und damit als heilswirkend (Mk 10,5)
verstand, ist bibelwissenschaftlich nicht genau fassbar. Nach einem bei Markus
überlieferten Jesuswort (10,45; Mt 20,28; vgl. Jes 53,12) soll der Menschensohn
sein Leben als Lösegeld für viele hingeben, vgl. auch den Bericht über das
letzte Abendmahl (Mk 14,24 u. Mt 26,26; anders Lk 22,20). Aber schon Paulus
entwickelte eine Erlösungslehre, wonach Christus nicht nur für
"viele", sondern für "alle" Menschen gestorben ist (2 Kor
5,15; Rom 3,24).
Im Johannesevangelium hat diese Lehre einen prägnanten Ausdruck gefunden: Jesus
Christus ist "der Erlöser der Welt" (Soter tou Kosmou: Joh 4,42; 1
Joh 4,14; vgl. 2,2). Nach dieser Lehre gibt es für "alle" Menschen
keine Versöhnung mit Gott, keine Erlösung, außer in Jesus Christus. Er, und nur
er ist der Erlöser der Welt, es ist evident, dass diese universale Heilslehre
die in der spätantiken Welt so verbreiteten Mysterienreligionen unendlich
übertraf. Beide Faktoren, die Lehre von
Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes und die universale Erlösungslehre,
haben entscheidend dazu beigetragen, dass die christliche Religion im vierten
Jahrhundert die anderen Religionen verdrängen und selbst zur Staatsreligion
werden konnte.
Die genannten zwei
christologischen Lehren oder Dogmen begründeten aber nicht nur den dogmatischen
Absolutheitsanspruch der Kirche; sie beinhalten zugleich die dogmatische Intoleranz allen anderen religiösen
Lehren gegenüber. Es war von daher nur folgerichtig, dass Konstantin und die
Imperatoren nach ihm (eine Ausnahme macht nur Kaiser Julian, "der
Abtrünnige" der nur kurz regierte (361-363) und dem ein glückloses Ende
beschieden war) den Glauben und die Religion des Christengottes annahmen und
diesen Glauben zur Staatsreligion erhoben. Die "Glaubenseinheit" war
für sie eine politische Notwendigkeit. Damit nicht genug. Die Kaiser fühlten
sich verpflichtet, die Kirche selbst vor Irrlehren im Innern zu schützen
und zu Gunsten der Glaubenseinheit einzugreifen. So wurden von mehreren Kaisern
theologische Einigungsformeln erlassen, um die bedrohte Glaubenseinheit im
Reich wiederherzustellen. Es ist eine Zeit des totalen Staatskirchentums, des
Cäsaropapismus und Byzantinismus. Päpste, Patriarchen und Bischöfe, die nach
Meinung der Kaiser nicht rechtgläubig waren, wurden abgesetzt und in die
Verbannung geschickt.
Ein Gleiches taten einige Päpste, die ihrerseits Kaiser und Könige: mit dem
kirchlichen Bann belegten. Die mittelalterliche Kirche kennt keine Toleranz.
Bekenner anderer Religionen wurden als halsstarrig und verstockt angesehen.
Vielfach kam es zu Zwangsbekehrungen oder Vertreibungen. Noch in der
Reformationszeit und später in der Gegenreformation war man der Überzeugung,
dass es Recht und Pflicht der Obrigkeit sei, für "einerlei Lehre" im
Staat Sorge zu tragen.
Erst im Augsburger Religionsfrieden (1555) wurde, durch politische Nöte
veranlasst, das Bekenntnis der deutschen Protestanten (die Confessio Augustana)
neben dem katholischen Bekenntnis in einem Landfrieden anerkannt. Kalviner und
Zwinglianer blieben von diesem Frieden jedoch ausgeschlossen. Und selbst dieser
Friede galt nur für die Fürsten und freien Reichsstädte. Den Untertanen gegenüber gab es keine Toleranz:
Cuius regio, eius religio. Wer anderen Glaubens war, konnte auswandern.
Erst im 18. Jahrhundert
finden wir in Europa eine gewisse Toleranz gegenüber Andersdenkenden und
Andersgläubigen, eine Toleranz, die der Staat aus politischen Gründen sowie im
Gefolge der Aufklärung seinen Untergebenen gewährte, wenngleich immer noch mit
gewissen Beschränkungen im Vergleich mit den staatlich anerkannten Kirchen.
Diese Duldsamkeit Andersgläubigen gegenüber war jedoch nur eine Toleranz der
staatlichen Gewalt. Dies besagt jedoch keineswegs eine wirkliche Toleranz von
Andersgläubigen auf Seiten der christlichen Kirchen, die in den meisten Ländern
Europas als Staatskirchen anerkannt waren. Diese nicht vorhandene Toleranz
anderen Religionen gegenüber hängt in Europa, wie schon gesagt, mit dem Wesen
der christlichen Religion selbst zusammen.
Aufbauend auf den zentralen Dogmen der Gottessohnschaft Jesu Christi und dessen
universalen Heilswirkens hatte die christliche Kirche schon früh ein
Selbstverständnis entwickelt, das ihren Absolutheitsanspruch begründet. Im
Kampf gegen Irrlehrer und Häretiker haben christliche Theologen bereits im
zweiten Jahrhundert nach Christus die Kirche mit Bildern aus dem Alten
Testament verglichen, z.B. mit der Arche des Noah (Gen 6-8), so Justin in
seinem Dialog 138,2-3. Die Kirche ist wie das Schiff Noahs, in dem allein die
Menschen gerettet werden. Wer nicht auf diesem Schiff ist, geht zugrunde. Im 3.
Jahrhundert hat der Bischof Cyprian von Karthago für diesen Sachverhalt den
lapidaren Satz geprägt: Extra Ecclesiam nulla salus (außerhalb der Kirche gibt
es kein Heil: Ep. 73,21). Der Begriff von der "alleinseligmachenden Kirche
war damit geschaffen. Wer nicht in der Katholischen Kirche ist, kann nicht
gerettet werden, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm. Diese dogmatische
Toleranz wird in den folgenden Jahrhunderten von Konzilien und Päpsten immer
wieder eingeschärft, auch wenn später hinzugefügt wird, dass "diejenigen,
welche die wahre Religion nicht kennen, vor Gott mit keiner Schuld behaftet
werden, wenn die Unkenntnis unüberwindlich ist."
Heute mag solche dogmatische Intoleranz vielen Menschen nicht mehr verständlich
sein. Man sollte jedoch bedenken, dass diese dogmatische Intoleranz nur eine
Folge ist aus der Überzeugung, allein die wahre Lehre von Gott und von der
Erlösung des Menschen zu besitzen. Übrigens wurde in der Reformationszeit eine
ganz ähnliche dogmatische Toleranz von Luther, Melanchthon, Calvin und Zwingli
vertreten. Wir sollten in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass nicht
wenige sog. christliche Sekten bis heute eine radikale Intoleranz gegenüber
anderen Religionen vertreten, wobei diese ihre Intoleranz vielfach ein
Hauptmotor für ihren weltweiten Missionseifer ist.
Zurück zur Kirche: Zu einer Spannung zwischen
religiöser Intoleranz und Toleranz kann es, kirchlich gesehen, erst dann
kommen, wenn die Kirche sich nicht mehr
ausschließlich als "Hort der Wahrheit" versteht. Bevor
dies geschieht, kann und darf es nur religiöse oder dogmatische Intoleranz
geben, wo der bekannte Satz gilt, der in der katholischen Theologie
Jahrhunderte hindurch stereotypisch wiederholt wurde: "Nur die Wahrheit
hat Recht, der Irrtum hat keinerlei Recht." In diese statische Auffassung
von Wahrheit und Kirche als "Hort der Wahrheit" ist mit dem 2. Vatikanischen Konzil eine gewisse
Dynamik gekommen, die in Zukunft vielleicht noch unvorhergesehene Veränderungen
bringen könnte.
Nach dem Konzil versteht sich die Katholische Kirche nach wie vor als der
sichtbare "Leib Christi" und als die "einzig wahre“, die als "Säule
und Feste der Wahrheit" (l Tim 3,15) von Gott errichtet wurde. Aber ebenso deutlich zeigt das Konzil eine Öffnung
des Horizontes für die kulturellen und religiösen Werte in anderen Religionen.
So erkennt das Konzil in
Bezug auf andere Religionen an, dass auch außerhalb des (sichtbaren)
Gefüges der Katholischen Kirche "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die
als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit
hindrängen" (Kirchs 8). Und in der Erklärung
über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen wird die
vielfältige religiöse Erfahrung der verschiedenen Völker anerkannt, die in den
verschiedenen Religionen ihren genuinen Ausdruck gefunden haben (Art,2).
Feierlich wird erklärt, dass es in
den verschiedenen Religionen "Wahres" und "Heiliges" gibt.
Gewiss weichen diese Religionen in manchem von der Lehre der Kirche ab,
"doch nicht selten (lassen sie) einen Strahl jener Wahrheit erkennen, die
alle Menschen erleuchtet" (Art,2). Mit Hochachtung spricht die Erklärung
vom Hinduismus und Buddhismus (Art.2); von den Muslimen, "die den
alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und
allmächtigen, ... der zu den Menschen gesprochen hat" (Art,3).
Gewiss bezieht sich dieses Sprechen Gottes zu den Menschen zunächst auf
Abraham, Moses und die anderen Propheten, wie auch die Muslime glauben. Aber
indirekt dürfte damit auch ein Sprechen Gottes zu Mohammed, dem Propheten
Allahs, anerkannt werden, derart nämlich, dass Gott auch ihm "einen Strahl
der Wahrheit" (oder sogar mehrere) hat zukommen lassen. (Die diplomatische
Sprache der Erklärung lässt jedenfalls nachträgliche Ergänzungen und
Erläuterungen zu. Ähnlich positiv sind die Aussagen der Erklärung über die
Religion der Juden (Art. 4), wo "das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme
Abrahams geistlich verbunden" gesehen wird. Wir finden auf diesem 2.
Vatikanischen Konzil eine neue Sicht
der anderen Religionen, eine Haltung, die weit mehr ist als Toleranz oder
Duldung von Andersgläubigen. Hier hat man sich ernsthaft mit den anderen
Religionen befasst, sie studiert in einer Haltung, welche diese Religionen
wertschätzt und hoch achtet.
Entsprechend wird vom Konzil auch die Kirche
als Ort des Heils für alle Menschen differenzierter gesehen und
bestimmt als dies früher der Fall war. So unterscheidet das Konzil in der
"Dogmatischen Konstitution über die Kirche" (Lumen Gentium, 1964)
zwischen der Zugehörigkeit
zur Kirche und einer Zuordnung
zur Kirche, was bedeutet: man kann auf verschiedene Weise zur katholischen
Einheit des Gottesvolkes gehören. So gehören nach diesen Aussagen die
katholischen Gläubigen zur
Kirche, "die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen
überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heil berufen sind, sind aber der
Kirche zugeordnet"(Art. 13). Auch weiß sich die Kirche mit den getrennten
christlichen Brüdern verbunden (Art, 15). Mit dieser Unterscheidung von
Zugehörigkeit und Zuordnung wird also niemand mehr, nur weil er nicht zur
sichtbaren Kirche gehört, vom Heil ausgeschlossen. Nur wer schuldhaft nicht zur Kirche gehört oder diese verlässt, könnte
nicht gerettet werden (Art. 1-14).
Mit diesem differenzierteren Kirchenverständnis hat die katholische Theologie
einen Ausweg gefunden, der es erlaubt, einerseits den universalen Heilswillen
Gottes zu betonen, andererseits aber die traditionelle einmalige Sonderstellung
der katholischen Kirche festzuhalten. Aufgabe der Kirche ist es, das Kreuz
Christi als Zeichen der universalen Liebe Gottes und als Quelle aller Gnaden zu verkünden. Sie
verkündet Christus, der die Wahrheit
ist, in dem die Menschen die Fülle
des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles
mit sich versöhnt hat (Nichtchristliche Religionen, Art. 4 und 2).
Somit bleibt bei aller Toleranz, bei aller Wertschätzung und Hochachtung der anderen Religionen, das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Katholischer Kirche als fortlebender Leib Christi und als Ort des universalen Heils, auf den alle anderen Religionen hingeordnet sind. Die Spannung zwischen religiöser Intoleranz und Toleranz wird daher nicht aufgehoben, sondern bleibt, wenn auch in modifizierter Form, bestehen.