Interreligiöse
Begegnung muss real werden
Woran sich interreligiöser Dialog
in Zukunft orientieren sollte, erläuterte der Metropolit der syrisch-orthodoxen
Kirche von Delhi, Paulos Mar Gregorios, in einem Vortrag in Rom. Mar Gregorios
war einer der Präsidenten des Ökumenischen Weltrates der Kirchen. Er war auch
Präsident der im August 1991 offiziell gegründeten Interreligiösen Föderation
für Weltfrieden. Diesen Vortrag hielt Bischof Gregorios bei einem
vorbereitenden Treffen der Interreligiösen Föderation für Weltfrieden im April
1991.
Ich bin sehr dankbar für diese
Gelegenheit, mit Ihnen mein Anliegen für eine globale Zusammenarbeit der
Religionen zu teilen. Es geht nicht nur um Dialog, sondern darum, dass wir uns
zusammen auf bestimmte Ziele für die Menschheit zubewegen. Was ich heute
übermitteln möchte, ist nicht bindend für die Interreligiöse Föderation für
Weltfrieden (IRFWF). Ich bringe hier meine persönliche Ansicht zum Ausdruck.
Ich bin mit dem Weltrat der Kirchen und der Arbeit des Dialogs mit Menschen
anderen Glaubens seit 1954 verbunden. Aber besonders auf Seiten des
europäischen Christentums finde ich noch eine gewisse Ängstlichkeit, in einen
vollen Dialog mit anderen Religionen einzutreten. In den Köpfen der Menschen
ist die Angst, dass es einen Kompromiss bezüglich der eigenen Überzeugungen
bedeutet, wenn man Gespräche mit anderen Religionen führt. Ich kann ihnen
versichern, dass im Weltrat der Kirchen diese Sichtweise ein sehr hemmender
Faktor war. Wir hätten im Dialog schon viel weiter kommen können, wenn das
europäische Christentum nicht so stark gebremst hätte.
Ein
nützliches Forum
Ich
halte die IRFWF aus zwei Gründen für ein sehr nützliches Forum. Erstens: die
IRFWF ist nicht zurückhaltend. Sie ist bereit, mutig in die Arena der
Weltreligionen einzutreten und die Folgen, wie immer sie aussehen mögen, zu
tragen, anstatt Angst zu haben vor Synkretismus und deshalb sich Zurückhaltung
aufzuerlegen.
Zweitens: ich habe bemerkt, dass Christen, wenn sie Dialogtreffen organisieren,
gewöhnlich eine strenge Kontrolle ausüben. Sie entscheiden, welche Personen
eingeladen werden, sie wählen die Themen aus und beobachten die Diskussionen
sehr genau. Nichtchristen fühlen sich deshalb sehr gehemmt, weil die Christen
diese Veranstaltungen entsprechend ihren Kategorien und ihrer Art dominieren.
Die Flexibilität der IRFWF ist ein Aspekt, den ich von Anfang an geschätzt
habe. Die IRFWF lässt die Leiter anderer Religionen die Initiative ergreifen,
statt zu verlangen, sich einem von Christen festgesetzten Muster anzupassen.
Aus diesen zwei Gründen wurde ich ein begeisterter Befürworter der vor Kurzem
gegründeten Interreligiösen Föderation für den Weltfrieden. Ich bin ein
Befürworter, aber ich bringe noch nicht die offizielle Sichtweise dieser Organisation
zum Ausdruck, die ja noch nicht genau formuliert ist. Ich hoffe, dass wir erst
nach ausgiebigen Diskussionen mit Vertretern anderer Religionen über die
grundlegende Struktur und Orientierung der IRFWF entscheiden.
Als zweites möchte ich betonen, wie irreführend das Wort Dialog sein kann. Ich
habe einige meiner Freunde, sehr Gebildete Leute, gefragt, was sie unter dem
Wort "Dialog" verstehen. Zu meiner Überraschung antworteten einige,
dass Dialog bedeute, dass zwei Menschen miteinander konversieren. Nun, ich
denke, dass Dialog nichts mit zwei zu tun hat. Das "Dia" in Dialog
hat nichts mit duo zu tun, was zwei bedeutet. Es bedeutet "dialeghe",
d. h. sprechen, sich unterhalten, argumentieren, indem alle Aspekte eines
Problems betrachtet werden, wobei man sich gegenseitig korrigiert und zusammen
weitergeht. Der ökumenische Dialog wurde beim zweiten Vatikanischen Konzil
eingeleitet. Papst Paul VI. legte großen Wert auf Dialog sowohl mit der
orthodoxen Kirche als auch mit anderen Christen.
Die eigentliche Bedeutung von Dialog, das Finden eines gemeinsamen Weges in der
Wirklichkeit durch das Lösen der Probleme mit denen wir konfrontiert sind ist
die, die auch wir uns zu Eigen machen. Dialog bedeutet zusammenkommen, sich
zusammen vorwärts bewegen, nicht nur miteinander reden. Er bedeutet, Ziele am
Horizont zu erkennen und sich gemeinsam darauf zu bewegen. Das ist es, was ich
im Zusammenhang mit interreligiösen Beziehungen sehen möchte.
Dialog
als Missionsmethode?
Drittens
gibt es für Christen auch ein theologisches Problem hinsichtlich der Beziehung
zwischen Verkündigung und Dialog. Im Weltrat der Kirchen haben wir viel Tinte
und noch mehr Worte gebraucht wegen dieses Antagonismus zwischen Mission und
Dialog. Das Problem wird oft "gelöst", indem der Dialog der Mission
untergeordnet wird, was für Nichtchristen große Probleme schafft. Ich erinnere
mich, dass wir vor langer Zeit, es war 1955, einen Dialog mit Hindus im
Himalaja führten. Ich war noch ziemlich jung, und alles war recht neu für mich.
Während einer Kaffeepause da findet richtiger Dialog statt, da während der
Sitzungen nur Ansprachen gehalten werden sagte ein Hinduprofessor zu mir:
"Sie scheinen ein ehrlicher Mann zu sein, kann ich ihnen eine Frage
stellen? Wenn ihr Christen über Dialog sprecht, tut ihr das, weil eure
Evangelisationsversuche in der Vergangenheit fehlgeschlagen sind und ihr nun
eine neue Taktik probieren wollt?" Ich denke, dass das teilweise für den
Dialog der Christen mit anderen Religionen zutrifft. Weil wir in unserer Mission
nicht erfolgreich waren, versuchen wir nun, mit Hilfe von Dialog eine
Kommunikation herzustellen. Viele offizielle Erklärungen von Christen deuten
dies an.
Während dieses Dialogs hatte ich ein anderes unvergessliches Erlebnis. Ein
zweiter Hinduprofessor sagte während einer anderen Kaffeepause: "Sie
scheinen stark genug zu sein, um sich anhören zu können, was ich ihnen zu sagen
habe: Ich werde es nicht beim offiziellen Treffen sagen, aber ich erkläre es
ihnen. Wenn ihr Christen über christliche Liebe sprecht, denken wir Hindus
unwillkürlich an eine Spinne. Eine Spinne, deren Körper christliche Liebe
genannt eine klebrige Substanz ausscheidet, mit der sie ein Netz spinnt,
in dem sie mich, eine harmlose Fliege, fangen möchte. So verstehen wir das Wort
christliche Liebe, wenn ihr zu uns darüber sprecht. Wir wissen, dass ihr euch
nicht wirklich um uns sorgt, sondern dass es euch nur darum geht, uns
einzufangen und uns zu Mitgliedern eurer Kirchen zu machen."
Misstrauen
gegenüber Christen
Das ist
die Art von Kommunikationslücke, die zwischen den Religionen besteht. Ich
versichere ihnen, dass andere Religionen die Fähigkeiten der Christen
anerkennen, gute Konferenzen zu organisieren, aber sie vertrauen nicht deren
guten Absichten. Andere Religionen sind sehr misstrauisch bezüglich der
christlichen Position zum interreligiösen Dialog. Das ist ein Grund, warum wir
von allem Anfang an klar machen müssen, was unsere Absichten und Motive für den
Einsatz im interreligiösen Dialog sind.
Ich bin sicher, dass wir in den letzten 25 Jahren neue Erfahrungen gesammelt
haben. 1965 wurde in Rom das Sekretariat für nichtchristliche Religionen, wie
es damals genannt wurde jetzt heißt es Pontifikalrat für interreligiösen
Dialog, eingerichtet. 1971 etablierte der Weltrat der Kirchen ein Gremium für
den interreligiösen Dialog. Während der vergangenen 20-25 Jahre engagierten
sich die christlichen Kirchen in einer formalen Weise im Dialog, und wir haben
in diesen zwei Jahrzehnten sehr viele Erfahrungen gesammelt. Diese Erfahrungen
bilden die Grundlage, um darüber zu reflektieren, was bisher geschehen ist und
wohin wir in der Zukunft gelangen wollen.
Interreligiöse
Harmonie in vorchristlicher Zeit
Der
interreligiöse Dialog begann nicht vor 25 Jahren. Für jemanden wie mich, der
aus Indien kommt, wo der Anteil der Christen bei etwa 2,6% der Bevölkerung
liegt und wo acht verschiedene Religionen zusammenleben, ist interreligiöser
Dialog eine alte Sache. Ja, er ist älter als selbst das Christentum. Wir haben
ein Edikt von Kaiser Asoka, das in einem Felsen eingemeißelt ist. Asoka Rar
Kaiser des ersten indischen Reiches im 3. Jahrhundert vor Christus. Dieses
Edikt ist äußerst faszinierend, weil es bereits im dritten Jahrhundert vor
Christus einige Prinzipien des interreligiösen Dialogs festlegt. Das Edikt hat
folgenden Inhalt:
"Der
Kaiser ehrt die Mitglieder aller Sekten ob Asketen oder Hausbesitzer durch
Geschenke und verschiedene Ehrenbezeugungen, aber er betrachtet Geschenke und
Ehrenbezeugungen als nicht so wichtig im Vergleich zur fortwährenden
Unterstützung aller Sekten. Die Botschaft ist von Sekte zu Sekte
unterschiedlich, aber es gibt doch eine gemeinsame Grundlage. Es ist für uns
sehr wichtig, uns an diese gemeinsame Grundlage zu erinnern, damit wir unsere
Zunge im Zaume halten, so dass wir nicht unsere eigene Sekte preisen oder eine
andere zu falscher Gelegenheit herabsetzen. Zu bestimmten Gelegenheiten können
wir dies sanft tun, aber bei anderen Gelegenheiten sollten wir andere Sekten
ehren. Indem wir das tun, helfen wir unserer eigenen Sekte und helfen den
anderen, während wir im anderen Fall uns selbst Schaden zufügen und auch den
anderen einen schlechten Dienst erweisen. Wer seine eigene Sekte rühmt und die
anderen herabsetzt, sei es aus blinder Loyalität oder mit der Absicht, die eigene
Sekte in einem guten Licht erscheinen zu lassen, fügt seiner eigenen Sekte den
größten denkbaren Schaden zu. Die beste Eintracht wird hergestellt, wenn ein
jeder die Lehren der anderen hört und respektiert. Es ist der Wunsch des
Kaisers, dass die Mitglieder aller Sekten über ihren Glauben Bescheid wissen
und Rechtschaffenheit lehren."
Bereits
im dritten Jahrhundert vor Christus hat Kaiser Asoka dieses Felsedikt in
verschiedenen Teilen des Landes aufstellen lassen, das besagt, dass die
verschiedenen Sekten einander respektieren sollten und dass sie sich nicht
verächtlich machen, sondern einander, wenn immer möglich, loben sollten. Alle
Sekten setzen sich für "Tamma", für die Rechtschaffenheit ein, sagte
er. Dieses Prinzip wird in meinem Land nicht immer beachtet, aber es ist Teil
unseres Erbes.
Asoka verwirklichte etwas, was wir heute nicht tun können. Er unterstützte
nicht nur seine eigene Religion, den Buddhismus, sondern auch den Hinduismus,
den Jainismus, die Schamanen und verschiedene andere Sekten, die zu der Zeit in
Indien existierten. Er unterstützte sie mehr oder weniger in gleicher Weise. Er
bevorzugte seine Religion nicht.
Inspiriert von Asokas Beispiel, möchte ich für diese globale Zusammenarbeit der
Religionen Orientierungspunkte geben. In der Vergangenheit sind wir in den
Dialog eingetreten, um einander zu verstehen, um miteinander zu kommunizieren.
Ich denke, wir müssen jetzt weitergehen. Wir müssen uns ein klares Ziel setzen,
das ich in vier Punkte zusammenfassen möchte.
1)
Globale Gemeinschaft aller Gruppen
Moderne
Technologie hat Kommunikation mit allen Teilen der Welt möglich gemacht, aber
dieser technologische Fortschritt hat noch nicht die Einheit der Menschheit herbeigeführt.
So lange Zerstörung, Krieg und Profit zu den Hauptzielen von Wissenschaft und
Technologie zählen, wird die Welt nicht vereinigt werden.
Ich habe den Verdacht, dass ein weltlichliberales, humanistisches Gebilde diese
Welt nicht vereinigen kann. Einige Intellektuelle mögen die Vision von einer
weltlichliberalen, humanistischen Organisation, ähnlich der UN zum Beispiel,
gutheißen. Aber die meisten Menschen unterstützen diese Idee nicht.
Wir vergessen oft, dass bei einer Weltbevölkerung von 5 Milliarden nur etwa
eine Milliarde Menschen religiös ungebunden sind. Die übrigen vier Milliarden
gehören zu einer Religion. Es gibt ungefähr 1,3 Milliarden Christen, vielleicht
900 Millionen Moslems, 700 Millionen Hindus, 350 Millionen Buddhisten, vielleicht
300 Millionen Konfuzianisten das ist schwer zu schätzen , ungefähr 70
Millionen Shintoisten, 20 Millionen Sikhs und die gleiche Zahl Juden.
Alle diese Religionen fürchten ein weltlich-liberales, humanistisches Gebilde,
das die Einheit der Menschen herbeiführen soll. sie befürchten, dass die
Religion noch mehr an den Rand gedrängt wird als es ohnehin schon der Fall ist,
wenn weltliche Strukturen dominieren. Deshalb zögern sie, diese Art von
Struktur zu befürworten. Ich glaube allerdings, dass der einzige Weg, um die
Menschheit zu vereinigen, der ist, dass weltliche und religiöse Aspekte
vereinigt werden.
Es gibt verschiedene Wege, nationale Grenzen zu überschreiten. Einen zeigen die
multinationalen Wirtschaftskonzerne auf, die nationale Grenzen überwinden und
eine Art globale Einheit herstellen. Aber viele Menschen, vor allem arme,
fürchten eine vereinigte Welt, in der multinationale Konzerne dominieren, weil
sie an den Rand gedrängt und betrogen werden könnten.
Wir brauchen "Vereinte Religionen"
Eine andere Möglichkeit ist eben eine liberale, rein
humanistische Institution ähnlich den Vereinten Nationen, die die Welt zu
vereinigen sucht. Dies scheint aber nicht zu funktionieren. Ich erinnere mich
an die 60er Jahre, als der Burmese U Thant UNO-Generalsekretär war. In einem Gespräch
sagte er einmal zu mir: Was wir zusätzlich zu den Vereinten Nationen brauchen
sind "Vereinte Religionen". Was er im Auge hatte, war so etwas wie
eine zweite Kammer der Vereinten Nationen, in der alle Weltreligionen vertreten
sind und sich Gedanken über Lösungen für die Probleme dieser Welt machen
können. Weil Regierungen oft eine recht enge und begrenzte Sicht von Problemen
und Lösungen haben, dachte er, dass für Religionen eine bessere Chance
bestünde, moralische und gerechte Lösungen zu finden. Deshalb setzte er sich
für ein zusätzliches Forum zu den Vereinten Nationen, für ein Forum der
Religionen, ein. Aber niemand akzeptierte diese Idee, obwohl er Generalsekretär
war.
Aber ich glaube, wir brauchen so etwas. Wir brauchen eine globale Versammlung
der Religionen, allerdings nicht notwendigerweise unter der Schirmherrschaft
der UNO. Wir können nicht erwarten, dass die UNO von Anfang an Schirmherr sein
wird. Aber wenn es einmal eingerichtet und organisiert ist, mag sein Wert erkannt
werden und Menschen beginnen dann, ihre Unterstützung zu geben. Es ist mein
Traum, dass die Religionen ständig im Austausch miteinander stehen. Sie sollen
nicht nur im Dialog stehen, sondern auch ihr Augenmerk darauf richten, wie der
Frieden in dieser Welt bewahrt werden kann und wie die Religionen eine andere
Grundlage für das Überwinden nationaler Barrieren schaffen können als
multinationale Konzerne es tun. Multinationale Konzerne heben nationale
Loyalitäten auf, aber ich glaube, dass Religionen das in einer wahrhaftigeren,
moralischeren und humaneren Weise können.
Wenn
die IRFWF ihre konkrete Arbeit beginnt, sind das die Fragen, die wir zu
diskutieren haben. Und wenn auch andere Religionen die Bedeutung dieser Punkte
erkennen, werden wir uns auf eine globale Zusammenarbeit der Religionen zu bewegen.
2)
Frieden, Gerechtigkeit, lebensfördernde Umwelt
Wenn
ich mir diese Weltgemeinschaft vorstelle, würde ich drei Aspekte hervorheben,
die die zukünftige globale Gesellschaft kennzeichnen sollten: Gerechtigkeit,
Frieden und eine lebensfördernde Umwelt. Gerechtigkeit in einer Gesellschaft
und zwischen den Gesellschaften, Frieden auf regionaler wie auf weltweiter
Ebene und eine gesunde Umwelt im lokalen wie auch globalen Bereich.
Diese drei Hauptpunkte sollten immer gegenwärtig sein, wenn auch die IRFWF nur
das Wort Frieden in ihrem Namen hat. Frieden verstehe ich im Sinne des
alttestamentarischen, hebräischen Shalom, das Gerechtigkeit genauso einschließt
wie das Blühen von Pflanzen und Bäumen und das Leben der Tiere. All dies muss
Teil unseres Konzeptes von Frieden sein, der dieser globalen Gemeinschaft
zugrunde liegt. Es wird sicherlich auch eine gesetzgebende Körperschaft
notwendig sein, sowie eine Exekutive und eine Art Parlament oder
entscheidungstreffende Institution. Aber das Wichtigste ist die Betonung von
wahrem Frieden. wahrer Gerechtigkeit und wirklicher Gesundheit der Umwelt.
Ich glaube, dass diese drei Dinge unteilbar sind. und dass das Konzept von
Shalom alle drei einschließt. Wenn wir Gerechtigkeit anstreben. können wir sie
nicht ohne Frieden haben. und wir können den Frieden nicht schaffen ohne
Gerechtigkeit und ohne gesunde Umwelt. Diese drei Dinge sind miteinander
verbunden. Verbunden sein müssen auch die lokale, regionale und weltweite Ebene.
Wenn wir nur auf der globalen Ebene arbeiten, wird nichts geschehen. Arbeiten
wir nur auf der regionalen Ebene, wird es nicht funktionieren. Die lokale Ebene
ist die Wurzel. Die Arbeit muss gleichzeitig auf der lokalen, der regionalen
und der internationalen Ebene geleistet werden, wobei wir uns auf
Gerechtigkeit, Frieden und die Integrität der Schöpfung konzentrieren.
3) Die
transzendente Dimension betonen
Der
dritte Punkt, den ich betont sehen möchte, ist schwer zu erklären. Ich hoffe,
dass die IRFWF der transzendenten Dimension der menschlichen Existenz besondere
Aufmerksamkeit schenkt. Ich möchte nicht den Begriff "Gott" benützen,
weil meine buddhistischen Freunde es vorziehen, von der transzendenten
Dimension unserer Existenz" zu sprechen. Die weltliche Kultur glaubt, dass
diese Weit, die wir uns mit unseren physischen Sinnen erschließen, die einzige
Welt ist. die existiert. Ich glaube, dass sie sich sehr irren. Sogar die
säkulare Welt hält nun nach Zeichen der Transzendenz Ausschau. Aber sie sind frustriert
von ihrem Versuch, aus ihrer Klaustrophobie auszubrechen.
Wir interreligiösen Aktivisten sollten nicht bloß politisch sozial oder
ökonomisch orientiert sein sondern sollten gleichzeitig unsere politische,
soziale oder ökonomische Ausrichtung in der transzendenten Dimension wurzeln
lassen. Die Welt, die ich heute erlebe, ist nur eine Dimension des Universums.
Das Universum hat noch viele andere Dimensionen und wir sind im Moment nicht in
der Lage, sie zu erleben, obwohl viele versucht haben, wissenschaftliche
Beschreibungen von diesen anderen Dimensionen zu geben. Wir, die wir uns auf
ein religiöses Erbe stützen und die sich immer dieser anderen Dimension bewusst
waren, müssen nun von unseren traditionellen Positionen abrücken, um diese
Transzendenz auch der Welt, die wir erleben, zu vermitteln.
Transzendenz bedeutet nicht, Raum und Zeit zu übersteigen. Es gibt Leute, die
glauben, dass nur außerhalb der Zeit wirkliche Realität existiert. Dieses
Extrem und der Glaube, dass nur diese Welt "real" ist sind
beide falsch. Transzendenz ist etwas, was von Zeit zu Zeit in unsere Welt
eindringt und die Kultur ist der Bereich, wo das geschieht. Bei Kultur meine
ich Religion wie auch Wissenschaft und Technik. Kultur ist das, was die
Menschen mit der Natur machen mittels Wissenschaft, Technologie, Kunst,
Literatur, Musik, Tanz, Drama, Liturgie und Ritual. All dies ist Kultur, und in
diesen kulturellen Formen bricht die Transzendenz zu uns durch. Intellektuell
kann das Transzendente nicht erfasst werden. Es muss durch Symbole und Rituale
erfasst werden. Es ist sehr wichtig zu erkennen, welche kulturelle Kreativität
in jeder Religion existiert und in welchem Ausmaß sich das Transzendente durch
die Kultur, durch Schönheit, durch Wahrheit, durch das Göttliche Licht selbst
ausdrückt.
Viele
Institutionen müssen transformiert werden
Ich
möchte diese Dimension des Transzendenten und seine Beziehung zum Existierenden
in der Zukunft als einen Schwerpunkt der IRFWF sehen. Das bedeutet zum
Beispiel, dass wir die Institutionen, die wir geschaffen haben, überprüfen
müssen. Unser weltliches System hat gegenwärtig eine besondere
Institution genannt Erziehung, die unseren Geist und unsere
Persönlichkeit formt und die unser grundlegendes Verständnis von der
Wirklichkeit bestimmt. Und dieses Erziehungssystem, das wir in Europa seit der
Aufklärung entwickelt haben, ist sehr destruktiv. Es fördert in einer Person
nicht alle Fähigkeiten, die in ihr liegen, ausgenommen die Bereiche
Wissenschaft, Technologie, Produktion und Manipulation der Umwelt. Es muss noch
andere Aspekte im Erziehungssystem geben, die das Transzendente in der Kultur
stimulieren. Das Erziehungssystem selbst muss geändert werden, damit Kultur
kreativ sein kann.
Die staatlichen Institutionen, die heute angeblich säkular sind, müssen
ebenfalls radikal transformiert werden, um es der kulturellen Kreativität zu
erlauben, sich zu manifestieren. Unsere gesamten akademischen Einrichtungen und
Universitäten sind Gefangene des Weltlichen und wurden zu Orten, wo die Suche
nach der Realität Formen annimmt, die von der modernen Wissenschaft nicht
einmal mehr befürwortet werden. Diese Veränderungen sind Teil der notwendigen
Wiedergeburt der Kultur. Ein anderes Beispiel ist das Heilen. Unsere westliche
Medizin fügt den Menschen sehr viel Schaden zu. Sie rettet Menschen, aber sie
fügt auch viel Schaden zu. Die Heilmethoden der Welt müssen noch einmal
untersucht werden, so dass sich letztlich das Transzendente auch durch das
Heilen manifestieren kann.
Ich möchte erleben, dass viele dieser Transformationen im Bereich der Kultur
und in den sozialen, erzieherischen, staatlichen, politischen, ökonomischen
Institutionen stattfinden, so dass sich das Transzendente manifestieren kann.
Es kann sich nicht durch Predigten manifestieren, sondern nur durch eine
Transformation der Institutionen und durch Kultur. Wissenschaft und Technologie
können als ein wichtiges Werkzeug bei diesem Prozess dienen, aber nur als ein
Werkzeug, das Menschen benützen sollen, um das Los der Menschheit zu
erleichtern und nicht als dominierender Meister.
4) Die
geistige Tradition anderer kennen lernen
Der
vierte wichtige Bereich, auf den man sich in den letzten 20 Jahren konzentriert
hat, ist der Bereich der "geistigen Erziehung" oder "geistigen
Schulung". In jeder Religion sind die Doktrinen und Dogmen weniger wichtig
als die geistige Erziehung. Wir konzentrieren uns zu oft auf den
intellektuellen Gehalt einer Religion und nicht genug auf die geistige
Erziehung, die uns helfen soll, im Leben zurechtzukommen. Dies ist der
wichtigere Teil einer Religion, wichtiger als das, was die Schriften aussagen
oder was Theologen der verschiedenen Religionen vertreten.
Wir sollten nicht nur über diese Erziehung diskutieren, sondern diese geistige
Erziehung anderer Gemeinschafen erfahren. Nur wenn jemand an einer geistigen
Schulung teilnimmt, sei es Yoga-Meditation, Zen-Meditation, die Namaz der
Muslims oder andere Formen der Anbetung und der Spiritualität, Beginnen wir
andere Religionen zu verstehen. Indem wir teilnehmen, erleben wir eine andere
Dimension. Viele der Leute, die dem interreligiösen Dialog sehr skeptisch
gegenüberstehen, sind durch solch eine Erfahrung tief beeindruckt worden. Einer
der wertvollsten Aspekte bei der ersten Versammlung der Weltreligionen im Jahre
1985 war, dass jede Gruppe in einer solchen Weise ihre Anbetung praktizierte,
dass jeder Zutritt dazu hatte. Dieses Miteinander-Teilen hinterließ einen
stärkeren Einruck als all die offiziellen Ansprachen, die gehalten wurden.
Aber so eine Erfahrung sollte sehr sorgfältig vorbereitet werden und darf nicht
bloß eine oberflächliche Begegnung sein. Manchmal müssen wir zwei, drei Tage
oder sogar eine ganze Woche in einer Gemeinschaft leben, um ihre Spiritualität
kennen zu lernen. Nur wenn wir total in das Leben einer Gemeinschaft
"eintauchen", wird interreligiöse Begegnung real. Dann beginnen wir
ein gemeinsames, gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln und die Möglichkeiten
für eine bessere Zukunft der Menschheit zu erahnen.
Das
Göttliche wird zu uns kommen
Ich
möchte ihnen diese vier Punkte vorlegen, die ich als eine mögliche Orientierung
für die zukünftige Arbeit der IRFWF betrachte. Es besteht eine große
Notwendigkeit für die IRFWF und ihre Vision, weil die säkulare Zivilisation auf
der Grundlage des liberalen Humanismus und von Wissenschaft und Technologie in
eine Sackgasse geraten ist. Sie kann sich nicht mehr entwickeln. Besonders für
die Menschen im Westen ist es sehr schwer, aus dieser Situation auszubrechen.
Es ist sehr schwierig, von dieser Einbindung loszukommen, in die wir durch die
westliche Erziehung geraten sind. Aber wir müssen da durch geistige Schulung,
durch neue geistige Praktiken, durch Askese, durch Meditation, durch Gebet,
durch Anbetung, durch Ausrichtung auf das Göttliche herauskommen. Dann wird das
Göttliche zu uns kommen. Die Welt wird dadurch transformiert; nicht durch uns
als Aktivisten, die versuchen, Veränderungen mit physischer Kraft und durch
Wissenschaft und Technologie herbeizuführen.
Wir brauchen diese Offenheit für das Transzendente, die wir durch geistige
Schulung erreichen. Es geht nicht nur um unsere persönliche Erlösung sondern
darum, dass durch uns die Umwandlung der Gesellschaft beginnen kann.