Eine Betrachtung auf der Basis der deutschen
Rechtsordnung
Prof. Dr. jur. Konrad Löw , Universität Bayreuth, Lehrstuhl Politikwissenschaft
I. "Killing for God" - II. Von
den Anfängen der dekretierten Toleranz zur Glaubensfreiheit - III. Leben wir in einem weltanschaulich neutralen Staat? -
Verfassung und Verfassungswirklichkeit - IV. Die monotheistischen Religionen und die Toleranz
- V. Die öffentlich-rechtlichen Massenmedien und die Toleranz
- VI. Der Bürger und die Toleranz - Anmerkungen
Das Wort Toleranz hat
einen guten Klang. Soweit ersichtlich, spricht sich in deutschen Landen niemand
offen gegen sie aus. Auch darüber scheint man sich einig: Toleranz hat ihre
Grenzen. Doch was meint Toleranz? Wo liegen ihre Wurzeln? Wem gebührt sie? Wer
schuldet sie? Wo verlaufen ihre Grenzen und wer stellt Grenzverletzungen
verbindlich fest?
Die angesehene
amerikanische Wochenzeitschrift TIME befasste sich Ende 1995 mit religiös
motiviertem Terrorismus. Überschrift: "Killing for God" und darunter
steht, gleichsam als vorweggenommenes Resultat: "Weit davon entfernt, auf
islamischen Terrorismus beschränkt zu sein, sind viele Glaubensgemeinschaften
von extremistischem Blutvergießen angesteckt." 1 Als erstes
Beispiel wird die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Rabin durch
Yigal Amir angeführt, der sich gegenüber seinen Richtern mit den Worten rechtfertigte:
"Nach jüdischem Gesetz darfst du den Feind töten." Und er fügte
hinzu: "Mein ganzes Leben lang habe ich das jüdische Gesetz
studiert." Fast genau ein Jahr zuvor äußerte ein junger Palästinenser aus
der Westbank vor laufender Kamera, um für seine Landsleute ein anschauliches
Testament zu hinterlassen: "Es gibt viele junge Männer, die den Heiligen
Krieg lieben und die für die Sache Gottes sterben möchten." Dann
befestigte er am Körper eine Ladung Dynamit, bestieg in Tel Aviv einen Bus und
ließ ihn in die Luft gehen, wobei er 22 Israeli und sich selbst tötete. Der
verheerende Giftgasanschlag in Tokio, die Ermordung eines auf Abtreibung
spezialisierten Arztes in Amerika, diese und zahllose ähnliche Fälle zeigen
uns, dass derlei Untaten nicht auf den Vorderen Orient, nicht auf Juden und
Palästinenser, nicht auf unsere Zeit beschränkt sind.
Dass die vom Grundgesetz
für die Bundesrepublik Deutschland prinzipiell schrankenlos gewährleistete
Glaubens- und Gewissensfreiheit, einschließlich des Rechts, nach derlei
Überzeugungen zu handeln, diesen Gesinnungstätern auf deutschem Boden nicht
zugute käme, liegt auf der Hand. Aber daneben gibt es unzählige Grenz- und
Zweifelsfälle, die im Verlaufe der Toleranzgeschichte unterschiedliche
Antworten erfahren haben und auch heute noch, ja in manchen Bereichen
verstärkt, Kontroversen auslösen.
Toleranz hat eine lange,
wechselvolle Geschichte. Das Wort kommt aus dem Lateinischen. Tolerare heißt:
ertragen, aushalten, dulden. Geht es zunächst, wie uns das Wörterbuch belehrt,
um hiemem, militiam, sumptus, tributa, also den Winter, den Kriegsdienst, die
Kosten, die Steuern, die zu tolerieren, zu ertragen sind, so wird tolerantia
unter dem Einfluss frühchristlicher Kirchenlehrer zu einer göttlichen Gabe, zu
einer Tugend. Sie befähigt, den Verfolgungen zu trotzen. Im dritten
nachchristlichen Jahrhundert erlangt tolerantia erstmals eine jener
Bedeutungen, die heute vorrangig sind. Der Kirchenlehrer Cyprian äußerte die
Überzeugung: Der Gleichmut, der sich "im Ertragen der Juden" bewährt,
vermag Ungläubige für den christlichen Glauben geneigt zu machen. Damit wird
auch schon angedeutet, wo für ihn die Grenze liegt, nämlich dort, wo Toleranz
dem eigenen, rechten Glauben abträglich ist. Achtung vor der Überzeugung
Andersdenkender ist dabei nicht auszumachen. Im Jahre 313 wird in Mailand das,
wie es heißt, Toleranzedikt vereinbart. Es beendet die Diskriminierung des
Christentums. Wenig später erlangt es den Rang einer Staatsreligion. Während
die Juden im ersten nachchristlichen Jahrtausend weithin ungestört leben und
glauben können, sind Häretiker und Schismatiker grausamen Verfolgungen
ausgesetzt.
Auch wenn die
Reformatoren nicht als Vorkämpfer der Toleranz gefeiert werden können - so hat
Luther den Zürcher Reformator Zwingli und dessen Mannen in heißem Zorn zu den
"Rotten und Sekten" gezählt -, die in einzelnen Landesteilen
geglückte Reformation, das erzwungene Zusammenleben verschiedener Konfessionen
im deutschen Raum hat Toleranz begünstigt, da die Forderung, gleich gesinnte
Minderheiten zu respektieren, ohne entsprechendes Entgegenkommen im eigenen
Machtbereich erfolglos geblieben wäre. Der Westfälische Friede von 1648 bildet
einen Meilenstein: Die Herrscher dürfen zwar weiterhin die Konfession ihrer
Untertanen bestimmen, müssen aber die Auswanderung derer, die sich nicht
anpassen, dulden. Auch diese Regelung entspringt nicht so sehr der Einsicht in
angeborene Rechte, der Achtung vor der religiösen Überzeugung anderer, als
vielmehr der Staatsraison, die eine Beeinträchtigung des inneren Friedens durch
religiöse Querelen befürchtet.
1781 wagt der junge
österreichische Kaiser, Joseph II., einen mutigen Schritt und verfügt ein
Toleranzpatent. Es nennt drei Gründe, warum eine wahre christliche Toleranz für
Religion und Staat nützlich sei:
1. Abschaffung des Gewissenszwanges
2. Wirtschaftliche Vorteile
3. Gottes heiliger Wille.
Das macht verständlich,
warum Joseph II. noch heute in manchen österreichischen Bethäusern
evangelischer Gemeinden anschaulich ablesbar verehrt wird:
"Vergänglich ist dies Haus,
Doch Josephs Nachruhm nie,
Er gab uns Toleranz,
Unsterblichkeit gab sie."
Der Bischof von
Königgrätz wandte sich 1781 mit einem Hirtenbrief an seine Diözesanen, der mit
geistlichen Gründen die Toleranzbestrebungen Josephs II. unterstützte und
ergänzend ausführte:
"Jedoch mögen sich
unter euch manche befinden, die glauben, dass sie ein gutes Werk tun, wenn sie
Härte gegen die Ungläubigen predigen oder sich in ähnlicher Weise verhalten.
Dies entspricht nicht dem Geist des Evangeliums. Wir sollten Duldsamkeit allen
denjenigen gegenüber an den Tag legen, die der Meister duldete, sollten den
Anhängern jeder anderen Religion mit Wohlwollen begegnen und sie mit Worten der
Liebe begrüßen." Dem österreichischen Beispiel folgten Preußen und nach
und nach die übrigen deutschen Staaten.
Neuland auf deutschem
Boden betraten die Mitglieder der Paulskirchenversammlung, als sie 1849 die
bloße Duldung in eine Rechtspflicht umwandelten, jedem "Deutschen... volle
Glaubens- und Gewissensfreiheit" zusprachen. Die Weimarer Verfassung des
Deutschen Reiches vom Jahre 1919 wie das geltende Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland sind diesem Beispiel gefolgt. Was vor Jahrhunderten
unvorstellbar schien, ist zur Selbstverständlichkeit geworden.
Zwei Artikel des
Grundgesetzes sind es, die sich vorzüglich mit der Freiheit befassen, die
eigene Überzeugung zu äußern. Art. 5 bestimmt: "Jeder hat das Recht, seine
Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten... Diese
Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen
Gesetze..." Noch stärker sind gemäß Art. 4 die Freiheit des Glaubens, des
Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses
geschützt. Insofern heißt es ausdrücklich, sie seien "unverletzlich".
Von Schranken, wie bei der Meinungsfreiheit, ist hier nicht die Rede. Dass
diese Rechtsgüter gegenüber den anderen Rechtsgütern der Verfassung, wie Würde,
Leben, Gesundheit, Eigentum, nicht verabsolutiert werden dürfen, versteht sich
von selbst und wurde eingangs schon betont.
Von der Meinungsfreiheit
wird in allen Bereichen des Lebens Gebrauch gemacht, insbesondere auch im
politischen Kampf. Angesichts unheilvoller Erfahrungen in der Weimarer Zeit,
die in die Hitler-Diktatur mündete, versteht sich der Staat des Grundgesetzes
als wehrhafte Demokratie. Demgemäß bestimmt Art. 18 GG: "Wer die Freiheit
der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit..., zum Kampf gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese
Rechte." Daneben gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, jenen, die durch
die Abschaffung dieser Ordnung dem Gedanken der Toleranz den Boden zu entziehen
trachten, den Kampf anzusagen, der Intoleranz mit Intoleranz zu begegnen,
nämlich Vereinigungsverbot, Aufhebung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, der
Freizügigkeit usw.
Aus all dem wird der
Wille der Verfassung deutlich, die großzügige Duldung, die für den Bereich des
Religiösen und Weltanschaulichen gilt, mit Blick auf das politische Leben
deutlich einzuschränken. Dass zwischen Politik und Religion keine säuberliche
Trennung möglich ist, beweisen die eingangs geschilderten religiös motivierten
politischen Morde. Dennoch wäre es gegen den Geist und die Konzeption der
Verfassung, die durchaus vorhandenen Grenzen generell zu missachten und das
Waffenarsenal, das gegen die Feinde der Demokratie geschaffen wurde, gegen missliebige
religiöse Gemeinschaften zum Einsatz zu bringen. Von ihnen geht, auch wenn sie
noch so intensiv von Weltherrschaft schwärmen sollten, eine unvergleichlich
geringere Gefahr für die Allgemeinheit aus, als von in etwa gleichstarken politischen
Parteien, die sich ja direkt um Teilhabe an der politischen Macht bemühen.
Japan, offenbar
aufgeschreckt durch die Verbrechen der Aum-Vereinigung, plant den Erlass eines
strengen Religionsgesetzes. Im Entwurf wird eingangs an die durch die Verfassung
gewährleistete Religionsfreiheit sowie die Trennung von Staat und
Religionsgemeinschaften erinnert. Auch das für alle geltende Gebot der Toleranz
wird nachdrücklich betont, demzufolge, wie es heißt, religiöse Organisationen
keine grundlosen Anschuldigungen gegen andere religiöse Organisationen und ihre
Mitglieder erheben dürfen. Manche der beabsichtigten Regelungen widersprechen
jedoch eindeutig unserem Verständnis von Religionsfreiheit und der in unserem
Lande gängigen Praxis. Bei uns ist es üblich, dass amtierende Politiker an
Kirchentagen oder Fronleichnamsprozessionen teilnehmen. In Japan soll derlei
verboten werden, ausgenommen Trauerfeierlichkeiten. Auch soll es verboten sein,
von den Mitgliedern Gaben zu fordern, nachdem sie diese klar verweigert haben,
eine Vorschrift, die die Eintreibung der Kirchensteuer offenbar unmöglich
machen würde. Ferner dürfen dann die Religionsgemeinschaften keine Initiative
mehr ergreifen, um Jugendliche für sich zu gewinnen.
Die russische Verfassung
vom Dezember 1993 verbürgt in Art. 28 Gewissens- und Religionsfreiheit,
eingeschlossen das Recht, sich zu jeder Religion allein oder mit anderen zu
bekennen und danach zu leben. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Jene
Kirchen, die international organisiert sind und nicht ihren Hauptsitz in Russland
haben, werden vielfältig behindert, die Einreisen ihrer ausländischen Priester
erschwert.
Die durchaus herrschende
Auffassung der namhaften deutschen Verfassungsinterpreten hält die
Bundesrepublik für einen zwar nicht wertneutralen, aber weltanschaulich
neutralen Staat. Diese Sicht ist nicht unbedenklich, da doch Weltanschauungen
durch Wertehierarchien maßgeblich mitgestaltet werden, eine Weltanschauung, die
dem Wertekanon des Grundgesetzes zuwider ist, nicht auf Neutralität durch die
Staatsorgane hoffen darf. Man denke nur an die marxistische Weltanschauung oder
die Weltanschauung des Nationalsozialismus. Hingegen scheint die Auffassung
vertretbar, dass die Staatsorgane jenen Gemeinschaften entgegenkommen dürfen,
z.B. durch Steuerbefreiungen oder Steuereinzug, deren Lehre und Praxis mit den
obersten Verfassungswerten, insbesondere der Persönlichkeitswürde, harmonieren,
die sich aufs Ganze gesehen über lange Zeit hinweg bewährt haben, die die
Voraussetzungen geschaffen haben, von denen unser Staat lebt.
Schwere
verfassungsrechtliche Bedenken melden sich an, wenn staatliche Stellen des
Bundes oder der Länder schwarze Listen erstellen, in denen vor namentlich
genannten religiösen Gemeinschaften gewarnt wird, wenn von Journalisten verfasste
entsprechende Texte en masse aufgekauft und gratis zur Verteilung gelangen,
wenn Gutachten in Auftrag gegeben und ihre Ergebnisse wie sichere Erkenntnisse
veröffentlicht werden. Das geschieht ohne rechtsförmliches Verfahren, ohne
Anhörung der Betroffenen, ohne eidliche Vernehmung der Zeugen und
Sachverständigen, ohne Beachtung des Gleichheitssatzes. Zu den Aufgaben der
Staatsorgane zählt, wie schon erwähnt, die Abwehr von Gefahren für die
freiheitliche demokratische Grundordnung, ferner der Schutz seiner Bürger. Für
beide Bereiche gibt es vielfältige gesetzliche Handlungsermächtigungen. Dass
die Staatsorgane darüber hinaus tätig werden dürfen, wird in der
fachwissenschaftlichen Literatur bestritten. Unstrittig sollte sein, dass die
erwähnten Praktiken massive Eingriffe in die Ehre der Betroffenen bedeuten, dass
sie der so verpönten Anprangerung nahe kommen. Schon der in diesem Zusammenhang
übliche Gebrauch des Wortes "Sekte" stellt eine Vorverurteilung dar,
da es sofort negative Empfindungen auslöst, weshalb sich wohl keine Vereinigung
selbst als Sekte bezeichnet.
Das
Bundesverfassungsgericht hat sich bisher geweigert, die aufgeworfenen Fragen
höchstrichterlich zu erörtern und zu entscheiden, obwohl einer seiner
angesehensten Richter, Wolfgang Böckenförde, die eben geäußerten Bedenken
teilt. Nur eine Kammer des Gerichts (sie besteht aus drei Richtern anstelle der
je acht Richter der beiden Senate) traf die Feststellung: "Entsprechendes
[d.h. Warnungen staatlicherseits sind zulässig] gilt dann, wenn es sich nicht
um Tatsachenbehauptungen, sondern um Werturteile handelt und diese bei
verständiger Beurteilung auf einem im wesentlichen zutreffenden oder zumindest
sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen." Der
"vertretbar gewürdigte Tatsachenkern" öffnet für die Denunziation missliebiger
weltanschaulicher Gemeinschaften Tür und Tor. Eine plausible Begründung
möglicher Gefährdungen potentieller Mitglieder oder der Allgemeinheit wird sich
wohl immer finden lassen.
In einer wohltuend temperierten
Abhandlung des Themas "Wie sollen Christen Sektenangehörigen
begegnen?" wirft der Wuppertaler Theologieprofessor Molinski, ein Jesuit,
die Frage auf: "Sind Sekten also ungefährlich?" Seine Antwort:
"Keineswegs. Religion ist immer höchst 'gefährlich', weil sie die Menschen
zu einem mit der bloßen Vernunft nicht einholbaren Verständnis der Wirklichkeit
und zu einer entsprechenden Lebensgestaltung einlädt." Molinski hätte auf
zahlreiche Stellen in Heiligen Büchern hinweisen können, die beim ersten Lesen
gewalttätiger Intoleranz Vorschub leisten. Im Alten Testament, in der Thora
Sätze wie: "Wenn der Herr, dein Gott, dich in das Land geführt hat, in das
du jetzt hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen, wenn er dir viele Völker aus
dem Weg räumt - Hetiter, Girgaschiter und Amoriter... -, wenn der Herr, dein
Gott, sie dir ausliefert und du sie schlägst, sollst du sie der Vernichtung
weihen. Du sollst keinen Vertrag mit ihnen schließen, sie nicht verschonen und
dich nicht mit ihnen verschwägern.... So sollt ihr gegen sie vorgehen: Ihr
sollt ihre Altäre niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle
umhauen und ihre Götterbilder in Feuer verbrennen."
Im Neuen Testament steht
zu lesen: "'Darum geht an die Straßenecken und rufet alle, die ihr findet,
zur Hochzeit!' so gingen die Diener auf die Straßen und sammelten alle, die sie
fanden, Gute und Böse...", ein Text, der zur Legitimation gewalttätiger
Missionierung missbraucht wurde.
Koranverse ermuntern zum
Heiligen Krieg: "Oh ihr, die ihr glaubt, habt Vorsicht und zieht (in den
Krieg) geschlossen oder scharenweise... Und wer für den Pfad Gottes kämpft und
getötet wird oder siegt, herrlichen Lohn geben wir ihm dereinst... Wenden sie
sich aber ab, so ergreifet sie und tötet sie, wo ihr sie auch findet... Seid
nicht lässig, das (feindliche) Volk anzugreifen, auch wenn ihr dabei leidet,
denn auch sie leiden, wie ihr leidet; ihr aber habt von Gott zu erhoffen, was
sie nicht zu erhoffen haben..." Laut Pressebericht soll den Hamaskämpfern
mit Photographien von Frauen aus dem amerikanischen Magazin "Playboy"
der Himmel bebildert worden sein, eingedenk von Sura 3, 17: "Kann ich Euch
denn Besseres verkünden als... unbefleckte Frauen und das Wohlgefallen
Gottes.?"
Religion also ist, wie
die Religionsgeschichte beweist, gefährlich, und diese Gefahr hat in
mannigfachen schweren Verbrechen zugeschlagen, die mit Inquisition und
Hexenwahn Höhepunkte erreichten. Aber die Geschichte beweist wohl auch, dass,
aufs Ganze gesehen, religiös Entwurzelte, die von Gott gegebene Verhaltensnormen
leugnen, die schlimmsten Exzesse zumindest des 20. Jahrhunderts zu verantworten
haben. Das geradezu sprunghafte Anwachsen der Kriminalität - die Zahl der
Straftaten hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt - geht Hand in Hand mit
dem Schwinden religiöser Bindungen.
Schon John Locke, der
anerkannte Vorkämpfer geistiger Freiheit, betont in A Letter Concerning
Toleration aus dem Jahre 1689: Öffentliche Gottesleugner, Atheisten können sich
nicht auf die Toleranz berufen, denn Versprechen, Verträge und Eide, welche das
Band der menschlichen Gesellschaft ausmachen, haben keine Verbindlichkeit für
Atheisten. Die Sittlichkeit ist für ihn religiös fundiert, und ohne Religion
also keine Gewähr für sittliches Handeln, der Grundlage für gedeihliches Zusammenleben.
- Dass die Verfasser des Grundgesetzes seinem Rat nicht gefolgt sind, dürfte
hinlänglich bekannt sein.
In einem "Neue
religiöse Bewegungen" betitelten Buch lässt eine Landeszentrale für
politische Bildungsarbeit Kritiker wie Anhänger zu Worte kommen und verzichtet
nicht darauf, schwere ehrenrührige Gerüchte zu kolportieren mit der
salvatorischen Klausel: "Aber für die Anschuldigung gibt es keinen
schlüssigen Beweis."
Wären die Christen nicht
zu Recht empört über die amtliche Wiedergabe jener Schmähungen, die Jesus und
seiner Mutter angedichtet wurden, z.B. "Zauberer", "Hure"?
Zu Lasten neureligiöser Bewegungen wird die Wiedergabe übler Nachreden für
rechtens erachtet, selbst wenn es "keine schlüssigen Beweise" gibt.
Auch dass die einen Glaubensgemeinschaften die Lehre der anderen als
"abstrus" abqualifizieren, wird billigend erwähnt. Doch mit dem
Vorwurf "abstrus" dürfen staatliche Stellen nicht operieren. Für den
Atheisten ist jeder Glaube abstrus. Für den Juden der christliche Glaube:
Dreifaltigkeit, Jungfrauengeburt, Auferstehung. Das war schon immer so. Paulus
schreibt: "Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir
dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten, für Juden ein empörendes
Ärgernis, für Heiden eine Torheit..." Umgekehrt schütteln viele Christen
den Kopf, wenn sie erstmals mit den 613 Ge- und Verboten orthodox-jüdischer
Lebensweise konfrontiert werden, z.B. mit der Beschneidung, der Unterscheidung
zwischen reinen und unreinen Tieren, den Speisevorschriften, den Sabbatgeboten.
Über den Atheisten lässt sich gleichfalls billig spotten, glaubt er doch zu
wissen, dass mildes Sonnenlicht feuchte Erde in Millionen von Jahren zum Leben
erweckt und das, was nur Lehm war, letztlich die "Ode an die Freude"
komponierte.
Ein anderes Bundesland
vergibt an einen Privatdozenten den Auftrag, ein Gutachten über die
Auswirkungen des Gedankengutes einer in der Öffentlichkeit übel beleumundeten
Vereinigung zu erstellen. Das Ergebnis ist reich an Unterstellungen und arm an
Fakten. Dementsprechend heißt es abschließend: "Eine ganze Reihe von
Indizien spricht dafür, dass... [die Vereinigung] längerfristig
verfassungsfeindliche Zielsetzungen vertritt und als totalitäre Organisation
Berührungspunkte mit dem politischen Extremismus aufweist. Allerdings muss
diese Einschätzung auf Vorläufigkeit bestehen [sic!], denn eine Vielzahl von
empirischen Fragen ist beim gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand noch
zu wenig geklärt. Erst weitergehende Informationen und Analysen der Mitglieder-
und Organisationsstruktur, die Hinweise auf die Intensität des
verfassungsfeindlichen Denkens... geben, könnten nähere Aufschlüsse und
Klärungen erbringen." Trotzdem wird in Nachrichtensendungen der
Massenmedien so getan, als habe das Gutachten die gängigen Vermutungen
bewiesen.
In der eben zitierten
Zusammenfassung ist von "totalitärer Organisation" die Rede. Eine
solche Charakterisierung ist in der Auseinandersetzung mit neureligiösen
Strömungen ein modisches Argument. Weitere Vorwürfe gelten einem tatsächlichen
oder vermeintlichen elitären Bewusstsein, einem fundamentalistischen Denken,
dem Glauben an die heile Welt als realisierbarer Zukunft, dem Missbrauch der
Glaubensfreiheit für politische oder ökonomische Ziele.
"Totalitäre
Organisationen", "totalitäre Bewegungen" erheben einen
Alleinvertretungsanspruch, verstehen sich, wie es heißt, "als alleinige
Besitzer politischer, religiöser oder sonstiger weltanschaulicher
'Wahrheiten'." Zunächst überrascht die Begegnung mit dem Wort totalitär im
Zusammenhang mit religiösen Gemeinschaften. Es entstammt der Kritik am
italienischen Faschismus und hat mit Blick auf die Staaten des Ostblocks vor
1989 an beifälliger Resonanz laufend eingebüßt. Nun wird es zum Kampf gegen
religiöse Gemeinschaften von jenen reaktiviert, die es in der politischen
Sphäre, insbes. in der geistigen Auseinandersetzung mit den kommunistischen
Staaten, nicht länger zu gebrauchen wagten. Soweit ersichtlich, gibt es unter
den namhaften Interpreten unserer Verfassung niemanden, der den religiösen Glauben,
im Besitz allein seligmachender Offenbarung zu sein, als rechtlich bedenklich
abqualifizieren würde. Was hier gegen eine neureligiöse Gemeinschaft
vorgebracht wird, trifft - wenn gleiche Maßstäbe gelten - nahezu alle
Religionen, zumindest in ihrer historischen Gestalt.
Das Gesagte gilt nicht
minder für die folgende Feststellung: "Totalitäre Bewegungen sind,
zweitens, hermetisch abgeschlossene 'Weltanschauungen'. Sie sind, von innen
betrachtet, rationaler Kritik nicht zugänglich. Ihre Ideologie entwickelt sich
nicht in der permanenten, rationalen, diskussions- und lernbereiten
Auseinandersetzung mit der Geistes- und Ideengeschichte, sondern sie beruft
sich auf die angeblich 'ewige' und unverrückbare Wahrheit bestimmter Lehrsätze.
Weltanschauungen werden grundsätzlich nicht reflexiv und für die Diskussion
offen fortentwickelt, sondern sie werden als vorgebliche Wahrheiten
'geglaubt'." - Hier zeigt sich, dass dem Autor des zitierten Textes, den
sich der angeblich weltanschaulich neutrale Staat zu Eigen macht, das Wesen
einer geoffenbarten Religion gänzlich fremd ist. Der religiöse Glaube
transzendiert die gegenständliche Welt, transzendiert die Naturgesetze und
somit auch die gängige Vernunft.
Wenn es weiter heißt:
"Der Führer wird verehrt und mystifiziert und gilt als der messianische,
charismatische und vom Schicksal ausersehene 'leader', der jeder Kritik
unzugänglich ist", so spricht der Gutachter Einsichten aus, die jedem
Gläubigen selbstverständlich sind, gleichgültig ob er Mose, Christus oder Mohammed
vor Augen hat. Dass bei neureligiösen Bewegungen andere Namen an ihre Stelle
treten können, mag viele stören, ist jedoch für den Staat des Grundgesetzes
irrelevant. Auch das elitäre Bewusstsein darf im Rahmen der Glaubensfreiheit
nicht zum Vorwurf gemacht werden. Es ist besonders ausgeprägt im orthodoxen
Judentum. Und was den einen recht ist, ist den anderen billig.
Beanstandet wird ferner
das Ziel, "diese Erde von Wahnsinn, Krieg und Verbrechen zu befreien und
eine bessere Welt zu erschaffen." Hören wir dazu den Propheten Jesaja, für
Juden wie Christen in gleicher Weise ein Künder göttlicher Verheißung:
"Nie mehr hört man dort lautes Weinen und lautes Klagen. Dort gibt es
keinen Säugling mehr, der nur wenige Tage lebt, und keinen Greis, der nicht das
volle Alter erreicht; wer als Hundertjähriger stirbt, gilt noch als jung... Was
meine Auserwählten mit eigenen Händen erarbeitet haben, werden sie selbst
verbrauchen. Sie arbeiten nicht mehr vergebens, sie bringen nicht Kinder zur
Welt für einen jähen Tod. Denn sie sind die Nachkommen der vom Herrn Gesegneten
und ihre Sprösslinge zusammen mit ihnen. Schon ehe sie rufen, gebe ich Antwort,
während sie noch reden, erhöre ich sie. Wolf und Lamm weiden zusammen, der Löwe
frisst Stroh wie das Rind. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen
auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der Herr."
Bleibt schließlich der
Vorwurf, der religiöse Ornat sei eine raffinierte Camouflage zur Verheimlichung
politischer oder wirtschaftlicher Ziele. Letzteres müsste durch das Studium der
Satzung und der Bilanzen sowie intensive Betriebsprüfungen zuverlässig zu
klären sein, ersteres ist bis zum Beweis des Gegenteils nicht zu vermuten.
Glaubensgemeinschaften dürfen hoffen, dass sie mit ihrer Lehre und Unterweisung
das Denken und Handeln ihrer Anhänger, auch das politische, nachhaltig
beeinflussen, dass die Zahl ihrer Anhänger wächst, dass so eine neue und
bessere Welt entsteht. Sie dürften in Deutschland - anders als in Japan - auch
mittels ihrer Anhänger Parteien ins Leben rufen, die dann nach den rechtlichen
Maßstäben für Politisches geprüft und notfalls bekämpft werden würden. Eine
solche enge Kooperation zwischen Kirchen und Parteien ist bei uns heute
unwahrscheinlicher als je zuvor in der deutschen Geschichte. Nur Hysteriker
können auf diesem Felde eine ernsthafte Gefahr ausmachen.
Die aus dem
rationalistischen Geiste der Aufklärung gespeiste Kritik an neureligiösen
Bewegungen trifft, allgemein und konsequent angewendet, die meisten jener
Gemeinschaften, deren Verfolgung die Erkenntnis des Menschenrechts der
Glaubensfreiheit reifen ließ. Das Grundgesetz hat dieser radikalen
Religionskritik kein Gehör geschenkt. Im 19. Jahrhundert war diese Haltung
unter Antiklerikalen dagegen verbreitet. Julius Fröbel räsonierte 1847:
"Das Dogma der gereinigten Religion ist die enthusiastische Behauptung der
wirklichen Fortentwicklung des Menschengeschlechts zum Ideal vollkommener
Schönheit und vollkommenen Glückes in der Form einer allgemein menschlichen
Gesellschaft: die Behauptung, dass nicht das Reich Gottes, aber das wahre Reich
des Menschen kommen werde auf Erden. Es muss eine der wichtigsten Aufgaben des
Staates sein, die Begeisterung für dieses Ideal... immer lebendig zu
erhalten..." Die radikale Reformpartei forderte 1848 gar die Aufhebung
aller Klöster und klösterlichen Einrichtungen.
Heinrich von Treitschke
dozierte zu Beginn des Kulturkampfes, also Anfang der 70er Jahre des letzten
Jahrhunderts: "Aus der Aufhebung der Leibeigenschaft folgt aber auch, dass
der Bestand geistlicher Orden mit dem modernen Rechtsstaat unvereinbar ist.
Eine vollständigere Sklaverei als in den geistlichen Orden der katholischen
Kirche ist unter Menschen gar nicht denkbar. Der Mönch und die Nonne haben sich
ihrer Persönlichkeit begeben, wie unsere alte Sprache sagte, sie haben
aufgehört, Person zu sein; sie geben ihr Eigentum, ihren ganzen Status im
bürgerlichen Leben hin, sie wollen nur noch dienende Glieder ihrer
klösterlichen Gemeinschaft sein. Das ist ein radikaler Widerspruch gegen die
Gesetze des modernen Staates. Aus diesen folgt, dass auch das freiwillige
Eingehen einer Sklaverei, einer Leibeigenschaft untersagt ist." Dieser
"Schutz gegen die Sklaverei" zielt, ob bewusst oder unbewusst, ins
Herz des Christentums, denn Armut wie Keuschheit und gläubige Hingabe
entsprechen den Wegweisungen Christi zur Vollkommenheit. Sache des Staates kann
es nur sein, darüber zu wachen, dass der Weg in diese "Sklaverei"
ohne äußeren Zwang geschieht und jederzeit der Rückweg angetreten werden kann.
Jede persönliche Bekanntschaft
mit Mönchen und Nonnen offenbart die Absurdität von Treitschkes Vorstellungen.
Aber auch mit Blick auf die neureligiösen Gemeinschaften scheint es geboten, dass
jeder Vorverurteilung eine Anhörung, besser noch ein persönlicher Umgang mit
den tatsächlichen oder vermeintlichen "Sklaven", den "Opfern des
Psychoterrors" vorausgeht.
Vergegenwärtigen wir uns
in der gebotenen Kürze die aktuelle Position der drei monotheistischen
Religionen zur Toleranzfrage. Da keine dieser Religionen eine geschlossene
Einheit bildet, dergestalt dass sie mit nur einer Stimme spräche, sind keine
Aussagen möglich, die auf alle Bestandteile in gleicher Weise zutreffen.
Beginnen wir mit der ältesten
monotheistischen Religion, dem Judentum. Die Toleranz sei, so heißt es im
Jüdischen Lexikon, "als sittliche Forderung schon früh in der jüdischen
Ethik begründet". Es folgt der Hinweis auf eine Bibelstelle, die lautet:
"Gedenke, dass du ein Knecht gewesen im Lande Ägypten". Doch diese
Einsicht und Ermahnung war, wie die Geschichte des Altertums und die Thora
beweisen, keineswegs tonangebend.
Mit Blick auf die
Vergangenheit steht im Jüdischen Lexikon nur: "Auch im innerjüdischen
Leben ist die Toleranz im 19. Jahrhundert ein umstrittener Begriff in den
Beziehungen besonders zwischen Liberalen und Orthodoxen geworden. Mit der
Selbstsicherheit ihrer religiösen Anschauung verband und verbindet die
Orthodoxie naturgemäß und nicht nur theoretisch eine in der Regel heftige
Intoleranz gegenüber den Reformern jeglicher Schattierung, während auf der
anderen Seite auch das liberale Judentum, namentlich im Besitz der Macht in den
jüdischen Gemeinden, dem konservativen und dem zionistischen Judentum gegenüber
die gleiche Unduldsamkeit betrieb oder wenigstens versuchte, die es selbst in
seinen Anfängen schmerzlich erlebt hatte."
Eine eingehende
Untersuchung, betitelt "Der Toleranzgedanke im Judentum", kommt zu
dem Ergebnis: Die Toleranz im Judentum endet, wo Minimalforderungen verletzt
werden, ohne die eine gesittete Weltordnung unmöglich erscheint. Nicht geduldet
werden dürfen u.a. Götzendienst und Gotteslästerung. Letzteres hat man Jesus
von Nazareth zum Vorwurf gemacht, ersteres konnte und kann man allen Christen zur
Last legen, die Jesus als Gott verehren.
Das Konzil als oberstes
Gremium der katholischen Kirche wie auch der Papst vertreten heute hinsichtlich
Glaubens- und Gewissensfreiheit eine Position, die mit dem abendländischen Menschenrechtsverständnis
voll übereinstimmt.
Die Herausgeber
"Sämtlicher Texte des Zweiten Vatikanums" bemerken einleitend:
"In Sachen der Religionsfreiheit hatte noch das IX. Kapitel des Entwurfs
'Über die Kirche' 1962 jene Auffassung vertreten, die im 19. Jahrhundert
besonders deutlich formuliert wurde und als Inbegriff katholischer Intoleranz
galt... In dieser Auffassung ist Toleranz bloße Duldung, und von eigentlicher
Religionsfreiheit kann keine Rede sein... Durch diese Eingrenzung des Themas
war es möglich, die namentlich von einer gewissen römischen Theologie stereotyp
wiederholte 'philosophische' These: 'Nur die Wahrheit hat Recht, der Irrtum hat
keinerlei Recht', von vornherein entschieden außer Betracht zu lassen."
Einige Sätze aus der mit
überwältigender Mehrheit (2308 Ja- gegen 70 Nein- bei 8 ungültigen Stimmen)
angenommenen Erklärung über die Religionsfreiheit: "Das Vatikanische
Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit
hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von
jedem Zwang sowohl von Seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen wie
jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen
wird, gegen sein Gewissen zu handeln."
Auch Papst Johannes Paul
II. äußert sich immer wieder ganz eindeutig in diesem Sinne, so in seiner
Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages am 1. Januar 1991: "Eine ernste
Bedrohung für den Frieden stellt die Intoleranz dar, die sich in der Ablehnung
der Gewissensfreiheit äußert. Aus den Ereignissen der Geschichte haben wir in
schmerzlicher Weise erfahren, zu welchen Ausschreitungen Intoleranz führen
kann." Am 27. Oktober 1986 traf er in Assisi mit führenden Vertretern
christlicher und nichtchristlicher Religionen zusammen.
Das Schreiben der
deutschen Bischofskonferenz über "Die Kirche in der pluralistischen
Gesellschaft" liegt ganz auf der Linie des Papstes, wenn es darin heißt:
"In all diesen Bemühungen müssen die Katholiken in besonderer Weise die
Zusammenarbeit mit den anderen Christen suchen und mit allen Menschen guten
Willens zusammenarbeiten. Ohne dass die Christen ihre apostolische Sendung
vernachlässigen, müssen Toleranz und Verständigungsbereitschaft als wichtige
Tugenden des Zusammenlebens im Zeichen des Pluralismus anerkannt werden."
Die Haltung der anderen
Kirchen kann nicht auf einen Nenner gebracht werden. Im Evangelischen
Staatlexikon lesen wir: "Die Lösung des theologischen Problems hängt mit
der reformatorischen Rechtfertigungslehre zusammen: die Rechtfertigung ist
unablösbar von der den Menschen vor Gott richtenden und darin rettenden
Intoleranz der Offenbarung. Die Heiligung aber als menschliche Antwort auf die
Rechtfertigung fordert als Zeugnis von Gottes Heilshandeln im freien Dienst der
Mitmenschlichkeit von der Intoleranz der Offenbarung her Toleranz, d.h.
Anerkennung des Mitmenschen und seiner Freiheit als eines von Gott
Erschaffenen, für den Christus gekreuzigt wurde. Hier erst ist Toleranz
Glaubensforderung für das christliche Handeln. Ihre Gestaltung im Einzelnen ist
dann Angelegenheit vernünftiger Erwägungen in Anerkennung der
Nichterzwingbarkeit des Glaubens."
Eine andere Frage ist, ob
diese Toleranz auch in den Gemeinden gelebt und durch die Priester vermittelt
wird. Hier stößt man immer wieder auf eine Kluft zwischen den schönen Worten
und der bitteren Wirklichkeit.
Dass die Mehrheit der
Russisch- wie der Griechisch-Orthodoxen den Wandel der katholischen und
evangelischen Kirche in Sachen Toleranz noch nicht vollzogen hat und eine
solche Kurskorrektur in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten ist, sei nur am
Rande vermerkt. Die Deutsche Tagespost, eine katholische Tageszeitung, erwartet
harte Zeiten in Russland: "Die Stoßrichtung der Klagen über
'Missionierungen' zielt nicht mehr wie noch vor kurzem vor allem auf obskure
Sekten, sondern auf den Katholizismus und auf alle Orthodoxen, die eine
ehrliche Zusammenarbeit betreiben wollen."
Mohammed Mekki Naziri,
Mitglied der Akademie des Königreichs Marokko, veröffentlichte in der
Zeitschrift "Gewissen und Freiheit" einen mit "Der Toleranzkodex
im Islam" betitelten Artikel, in dem es einleitend heißt: "Nach den
Lehren des Islams gehören sowohl das Prinzip als auch die Praxis der Toleranz
im täglichen Leben zum Glauben." Dann werden sechs
"Hauptgrundsätze" vorgestellt, deren vierter beispielsweise lautet:
"Der Glaube an eine Religion kann nur tief und dauerhaft sein, wenn er auf
absoluter Überzeugung beruht, die frei ist von äußerem Zwang. Deshalb soll
jemand, der gezwungen wurde, eine Religion anzunehmen, der aber gern zu seiner alten
Religion zurückkehren möchte, dies ohne irgendwelche Strafen und ohne Furcht
tun können. Dieser Grundsatz wird im Koran scharf und unabänderlich formuliert:
'Zwingt keinen zum Glauben, da die wahre Lehre vom Irrglauben ja deutlich zu
unterscheiden ist.' (2. Sure, Vers 257.)"
Wer aber daraus schlussfolgert,
im Islam gebe es Glaubensfreiheit in unserem Sinne, irrt gewaltig. Zwar wird
heute die Todesstrafe an Apostaten nicht mehr vollzogen, aber harte Bestrafung
haben sie verdient. Polytheisten und Apostaten verlieren ihr Bleiberecht in
islamischen Staaten. Christen und Juden, also die Anhänger einer anderen
monotheistischen Religion, sind Bürger zweiter Klasse. Diese Praxis findet
Billigung durch die große Mehrheit der islamischen Führer.
Die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten arbeiten auf staatsvertraglicher oder
gesetzlicher Grundlage, so der Südwestfunk nach dem Staatsvertrag über den
Südwestfunk Baden-Baden, der Bayerische Rundfunk nach dem Bayerischen
Rundfunkgesetz usw. Diese Texte verdeutlichen, was im Prinzip schon durch das
Grundgesetz und die Länderverfassungen festgeschrieben worden ist.
Gemäß Art. 5 der Satzung
des Südwestfunks müssen die Programme "vom Geiste demokratischer Freiheit
und der Verständigung unter den Völkern getragen sein. Sie haben die im
Grundgesetz und in den Länderverfassungen festgelegten Grundrechte und
Grundpflichten zu achten.
Die Sendungen dürfen gegen
die Gesetze nicht verstoßen, das sittliche oder religiöse Gefühl nicht
verletzen und keine Vorurteile gegen einzelne oder Gruppen wegen ihrer Rasse,
ihres Volkstums, ihrer Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringen.
Der Südwestfunk hat das
Recht zu angemessener und sachlicher Kritik am öffentlichen Leben; Hörfunk- und
Fernsehsendungen müssen in Wort und Bild über den Gegenstand in seinem
objektiven Zusammenhang und die darüber bestehenden wesentlichen Meinungen
hinreichend unterrichten. Dabei darf der Südwestfunk nicht einseitig in den
Dienst einer Regierung, politischen Partei, Kirche, religiösen Gemeinschaft,
weltanschaulichen Richtung... treten."
Die Rechtsgrundlagen
scheinen Menschlichkeit, Objektivität, Ausgewogenheit, Sachlichkeit, Wahrhaftigkeit
und Toleranz zu gewährleisten. Aber die besondere Aufgabenstellung, die sich
u.a. darin äußert, dass die Rundfunkanstalten selbst Träger der
Meinungsfreiheit sind, ferner die Konkurrenz mit anderen Massenmedien, die
Erwartungen der Öffentlichkeit, das Schielen auf Einschaltquoten und
Werbeeinnahmen gefährden in der Praxis die rechtlichen Arbeitsgrundlagen.
"Good news are no news" lautet eine Binsenweisheit. Also ist die
Versuchung groß, sich auf Sensationen zu stürzen, postitive Entwicklungen als
langweilig auszublenden, dem Zeitgeist gemäß die Texte abzufassen.
Ein deutscher Sender
preist sich an mit dem Hinweis: Von uns erfahren Sie jede Neuigkeit fünf
Minuten früher. Besonders gefragt ist demnach, wer als erster meldet, was
Schnelligkeit zu Lasten der gewissenhaften Recherche belohnt. Belohnt wird
auch, wer den Trendsettern folgt, wer sich im Strom der herrschenden Meinung
bewegt. Mit Blick auf eine Report-Sendung vom Januar 1996 schrieb eine der
großen Tageszeitungen treffend: "Hauptsache, gelungen präsentiert!
Gelungen heißt: Nicht das Informationsbedürfnis des Zuschauers wird befriedigt,
sondern sein Empörungsbedürfnis."
Die Rundfunkgesetze sehen
zwar die Möglichkeit einer Beschwerde vor. Aber die Mitglieder des
Rundfunkrates, die gleichsam als Richter fungieren, sind weder persönlich noch
sachlich unabhängig, vielmehr häufig selbst Betroffene. Die politischen und
gesellschaftlichen Kräfte, die im Rundfunkrat sitzen, haben als
Beschwerdeführer ganz andere Erfolgschancen als die Nichtrepräsentierten.
Hilfst du mir heute, helfe ich dir morgen - ist eine unter diesen Umständen
äußerst nahe liegende Unterstellung. Dieser Beistand auf Gegenseitigkeit wird
sicherlich nicht nur dann gewährt, wenn eine der vertretenen Interessengruppen
das Opfer ist, sondern auch wenn dem ausgeschlossenen Konkurrenten unfair gegen
das Schienbein getreten wird, dann natürlich mit umgekehrtem Vorzeichen.
Die oben erwähnten
ethischen Grundlagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gelten gemäß
ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts prinzipiell auch für die
privaten Rundfunksender. Sie müssen ebenfalls vielfältige gesellschaftliche
Kräfte und Gruppen an den Veranstaltungen beteiligen. "Die Kontrollgremien
des Rundfunks sollen nicht der Repräsentation organisierter Interessen oder
Meinungen, sondern der Sicherung der Meinungsvielfalt im Rundfunk dienen."
Toleranz ist für den
Staat eine Rechtspflicht, für den Bürger aber eine Tugend, die nicht erzwungen
werden kann. Verboten ist ihm u.a. die Volksverhetzung. § 130 StGB bestimmt:
"Wer in einer Weise,
die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
wird mit Freiheitsstrafe
von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Doch davon abgesehen,
gestatten ihm das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1
GG), die Glaubensfreiheit (Art. 4 GG) und die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1
GG) sehr viel an Intoleranz, wie jeder, der die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts verfolgt, weiß.
Dieser weite Bereich
persönlicher Freiheit ist aber - und das verdient nachdrückliche Betonung -
kein Selbstzweck. Der Freiheitskonzeption des Grundgesetzes liegt das Bild der
eigenverantwortlichen Persönlichkeit zugrunde, wie insbesondere den
Erziehungszielen der Länderverfassungen zu entnehmen ist. In Art. 12 der
Verfassung von Baden-Württemberg heißt es beispielsweise: "Die Jugend ist
in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur
Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe... zu erziehen." Nur
wenn dieses Bild kein Trugbild ist, hat die freiheitliche Demokratie Aussicht
auf Bestand. Die Freiheit ist nicht dazu da, mag es auch noch so paradox
klingen, dass wir sie gänzlich und in jeder Situation ausschöpfen, sondern dass
wir uns ohne äußeren Zwang eigenständig für das entscheiden, was unserer
sittlichen Entfaltung und dem Wohl der Allgemeinheit dient.
Daraus folgt mit Blick
auf unser Thema: Toleranz ist ein ethisches Gebot und eine staatsbürgerliche
Tugend. Toleranz nicht in erster Linie, um selbst toleriert zu werden, nicht
aus Skeptizismus und Agnostizismus - auch das sind ehrbare Positionen -,
sondern aus Respekt vor der Würde und dem Gewissen des Mitmenschen.
Unsere Toleranz sollte
dort enden, wo wir insbesondere auf Grund gerichtlicher Erkenntnisse zu wissen
glauben, dass einzelne oder Gruppen
Aber wahre Toleranz
verbietet es auch, Nachteiliges ungeprüft zu kolportieren, zumal wenn die
Betroffenen übel beleumundeten Randgruppen angehören.
Besinnen wir uns
abschließend auf das geistige Testament, das Karl Bonhoeffer seinen Kindern,
auch seinem 1945 ermordeten Sohn Dietrich, ins Herz gesenkt hat: "Die
Menschen, die euch sonst begegnen, nehmt wie sie sind. Stoßt euch nicht gleich
an dem, was fremd ist oder euch missfällt, und schaut auf die guten Seiten.
Dann seid ihr nicht nur gerechter, sondern bewahrt euch selbst vor
Engherzigkeit... Wenn ihr euer Leben so einrichtet, wird es von diesem weiten
Geiste ganz und gar durchdrungen."